1946 Erste »Zeitgenössische Musikwoche«
Der Terror des Nationalsozialismus und die Schrecken des Zweiten Weltkriegs waren kaum zu Ende, da lädt der Vorläufer des Hessischen Rundfunks mit dem hr-Sinfonieorchester vom 7. bis 14. Juli 1946 in Bad Nauheim bereits zu einer ersten »Zeitgenössischen Musikwoche«.
In die traditionsreiche Kurstadt der Wetterau war Radio Frankfurt nach der Bombardierung des Frankfurter Funkhauses 1944 umgezogen und hatte seinen Sendebetrieb im Juni 1945 als befreiter »Sender der Amerikanischen Militärregierung« in den provisorischen Studios auch wieder aufgenommen.
Begründer und Leiter der »Zeitgenössischen Musikwoche« ist Heinz Schröter, seit 1946 Leiter der Kammermusik von Radio Frankfurt und späterer Leiter der Musikabteilung des Hessischen Rundfunks. Sein Grußwort im Programmheft lässt die schwierigen Umstände der Zeit erahnen und macht die kulturpolitischen Intentionen der Verantwortlichen zugleich unmissverständlich deutlich:
»Mehr denn je erscheint uns Deutschen in unserer heutigen Lage die Besinnung auf die inneren Werte der Kultur und der Kunst ›notwendig‹ – im Sinne von ›Not wendend‹–, und die Neuformung eines deutschen und zugleich der Welt aufgeschlossenen Menschen mag hier eine ihrer stärksten Quellen sehen. Radio Frankfurt ist sich seiner Verpflichtung als Kulturträger bewusst und hat daher die Planung und Durchführung einer ›Zeitgenössischen Musikwoche 1946‹ in Bad Nauheim – im Zusammenwirken mit der dortigen Kurverwaltung – allen zeitbedingten Schwierigkeiten zum Trotz übernommen. Mag somit der Rundfunk – über die örtliche Bedeutung dieser Veranstaltung hinaus – zum Sprachrohr werden für eine junge, gegenwartsnahe Musik. Neben Werken deutscher Komponisten steht eine reiche Auswahl aus der neuen Musik anderer Länder und Kontinente; möge dieser Zusammenklang eine tönende Brücke bilden über die Abgründe der vergangenen Jahre.«
Ein frischer Wind
Die Veranstaltungswoche im Großen Saal des Kurhauses von Bad Nauheim wird dabei vom amerikanischen Kontrolloffizier der US-Militärregierung, Holger E. Hagen, nachhaltig begrüßt:
»Aus den Programmen dieser Festwoche internationaler zeitgenössischer Musik weht ein frischer Wind. Zum ersten Male seit dem Waffenstillstand wird hier ein Versuch gemacht, dem Musikpublikum in geschlossener Form das neueste Schaffen der zeitgenössischen Komponisten aus aller Welt vorzuführen. Dass ein solcher Versuch bereits jetzt gemacht wird, ist ein Beweis des ungeheuren, alle Schwierigkeiten überwindenden Dranges zum künstlerischen Wirken, der sich gerade bei den Künstlern regt, die am meisten unter der Naziherrschaft zu leiden hatten. Das bedeutet kein Verneinen der großen Musiktradition, sondern ein positives Bestehen auf dem grundsätzlichen Recht eines Jeden, in einem geistig freien Staate gehört zu werden, wenn er die Sprache seines Herzens spricht.«
Strawinsky, Schostakowitsch, Hindemith ...
An der Musikwoche ist das »Symphonie-Orchester von Radio Frankfurt« mit zwei Konzerten beteiligt. Präsentiert werden Kompositionen von William Schumann (Amerikanische Ouvertüre), Igor Strawinsky (Violinkonzert) und Dmitrij Schostakowitsch (5. Sinfonie) sowie Maurice Ravel (Tzigane), Heinrich Sutermeister (Klavierkonzert) und Paul Hindemith (Sinfonie »Mathis der Maler«).
Damals schon wieder an den Main zurückgekehrt, wird die »Woche für Neue Musik« in Frankfurt zu einer festen Einrichtung und bildet bis Mitte der 1950er Jahre auch einen wichtigen Eckpfeiler im jährlichen Veranstaltungskalender des Hessischen Rundfunks.
Auch bei den »Ferienkursen« dabei
Nur wenige Wochen nach der »Zeitgenössischen Musikwoche« in Bad Nauheim werden am 25. August 1946 in Schloss Kranichstein, veranstaltet von der Stadt Darmstadt in Verbindung mit Radio Frankfurt, zugleich die »Ferienkurse für Neue Musik« ins Leben gerufen – und auch bei diesem, schnell zum führenden europäischen Forum für Gegenwartsmusik sich entwickelnden Festival ist das hr-Sinfonieorchester von Anbeginn dabei.