Mitte der 1920er Jahre: Radio Frankfurt produziert Hindemiths »Anekdoten für Radio«. Der Komponist hat sich mit einer vergleichsweise exotischen Besetzung auf die Bedingungen des neuen, technisch noch beschränkten Mediums eingestellt: Klarinette, Trompete, Violine, Kontrabass und Klavier sind in ihrem Klang so verschieden, dass man sie auch im Rauschen des Lautsprechers deutlich voneinander unterscheiden kann.
Ein Brief Arnold Schönbergs dokumentiert die enge Zusammenarbeit zwischen dem ersten Chefdirigenten des hr-Sinfonieorchesters Hans Rosbaud und dem Hauptrepräsentanten der Zweiten Wiener Schule in den frühen Jahren von Radio Frankfurt. Dem gemeinsamen künstlerischen Engagement im neuen elektronischen Medium ist dabei auch einer der bedeutendsten Aufsätze Schönbergs zu verdanken – über Johannes Brahms.
Irgendwann in den frühen 1940ern: Der »gleichgeschaltete« Reichsrundfunk erfüllt den Auftrag, die Welt mit deutscher Musik, d.h. in erster Linie mit Brahms, Bruckner und Beethoven zu beglücken. Sehr spät am Abend, ja praktisch mitten in der Nacht, werden die Musiker des seinerzeitigen »Frankfurter Rundfunk-Symphonie-Orchesters« in den Sendesaal gerufen, um eine Beethoven-Sinfonie live in die deutschen Kolonien in Südwestafrika zu schicken. Die nationalistisches Pathos verbreitende Aktion wird allerdings unerwartet gestört.
Der Terror des Nationalsozialismus und die Schrecken des Zweiten Weltkriegs waren kaum zu Ende, da lädt der Vorläufer des Hessischen Rundfunks mit dem hr-Sinfonieorchester vom 7. bis 14. Juli 1946 in Bad Nauheim bereits zu einer ersten »Zeitgenössischen Musikwoche«.
»Aktivismus« scheint kein ungeeignetes Stichwort für den »Musikbetrieb« im Frankfurter Sender nach dem Zweiten Weltkrieg. Unberührt von aller Vergangenheit springt man in die Bresche für die weitgehend nicht mehr vorhandenen Konzertsäle und Opernhäuser.
Im Juni 1952 bricht das hr-Sinfonieorchester zu einer bemerkenswerten Konzertreise auf – zu seinem ersten ausländischen Gastspiel nach dem Zweiten Weltkrieg und damit zu einem weiteren Schritt aus seiner fast zwanzig Jahre währenden künstlerischen Isolation. In Salzburg warten zwei namhafte Auszeichnungen auf die Frankfurter.
»Wo immer auf dieser Erde ein Bauwerk dieser Bestimmung dient, verzeichnet die kulturelle Landschaft ein Königreich.« Mit diesem pathetischen Satz legt am 28. Februar 1953 hr-Intendant Eberhard Beckmann den Grundstein für den Bau des hr-Sendesaals, der als »Großer Sendesaal« auf dem neuen Gelände am Frankfurter Dornbusch entsteht.
»Noch bevor er für den Beifall nach dem ersten Teil des Programms dankte, stieg Leopold Stokowski vom Podium und ging, ärgerlich auf ihn zeigend, auf einen Hörer in der ersten Reihe zu. Der Unglückliche hatte es gewagt, den Dirigenten zu fotografieren.«
Junge Komponisten brechen in den 50er und 60er Jahren in musikalisches Neuland auf und stellen ihre Interpreten vor teilweise unlösbar scheinende Probleme. Luigi Nono etwa wünschte sich für seine »Composizione II – ›Diario polacco 1958‹«, die das hr-Sinfonieorchester uraufführen sollte, im Vorfeld eine ganze Reihe exotischer Schlaginstrumente, die man nicht besaß und die es auch nirgends zu kaufen gab.
Am 3. Oktober 1965 bricht das Sinfonie-Orchester des Hessischen Rundfunks mit seinem Chefdirigenten Dean Dixon zu einer dreiwöchigen Konzertreise durch die Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien und Österreich auf. Es ist die erste Gastspielreise eines westdeutschen Rundfunk-Sinfonieorchesters durch osteuropäische Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg.
Im Januar 1971 – drei Monate vor seinem Tod – hört Igor Strawinsky das Oratorium »Christus« von Franz Liszt. Das ihm – wie fast allen Musikfreunden – bis dahin unbekannte Werk beeindruckt den greisen Komponisten und regt ihn zu lebhaften Gedankengängen über Liszt an, über dessen musikalische Stärken und Schwächen und das zuvor nicht gekannte Werk.
Mit einem »Strawinsky-Weekend« startet das hr-Sinfonieorchester am 2. und 3. Dezember 1972 eine neue Veranstaltungsform, die sich mit Konzerten, Diskussionen und Symposien in intensiver Weise »besonderen Thematiken« widmet.
Mit drei Dirigenten, einem Komponisten und 107 Musikern an Bord startet am 27. September 1973 auf dem Frankfurter Flughafen eine Boeing 707 nach Warschau: Das hr-Sinfonieorchester bricht per Sonderflug zu seiner ersten Polen-Tournee auf.
Eine Musik-Premiere ganz besonderer Art steht im Mittelpunkt der Konzerte am 1. und 2. Dezember 1977 im Sendesaal des Frankfurter Funkhauses. Es ist die konzertante Uraufführung eines Opernfragments aus dem Nachlass von Claude Debussy: »La chute de la maison Usher« (Der Fall des Hauses Usher) nach der gleichnamigen Novelle von Edgar Allan Poe.
Wenige Monate nach seinem 50-jährigen Jubiläum gastiert das hr-Sinfonieorchester erstmals in den USA. Am 25. Januar 1980 brechen die Musikerinnen und Musiker auf in Richtung New York. Drei Tonnen Orchesterinstrumente fliegen ihnen voraus. Die elf Konzerte der zweiwöchigen Tournee, die u.a. zweimal in die berühmte New Yorker Carnegie Hall führt, stehen unter der Leitung von Chefdirigent Eliahu Inbal.
Mit der Eröffnung der wieder aufgebauten Alten Oper Frankfurt zieht das hr-Sinfonieorchester 1981 mit seinen Sinfoniekonzerten in das neue Konzerthaus der Stadt. Es bietet fast doppelt so viele Plätze wie der Große Sendesaal im Funkhaus am Dornbusch, und auch seine Akustik erweist sich für die Konzertbesucher wie für die Aufnahmetechnik als Glücksfall.
Das hr-Sinfonieorchester hat ein treues Publikum, das sich mit dem Orchester und seinen Mitgliedern eng verbunden fühlt. Auch außerhalb des Konzertsaals bestehen vielfältige Kontakte. Mitte der 1980er Jahre erwächst daraus die Idee »familiärer musikalischer Begegnungen« in Form einer Kammermusikreihe – der ersten selbst geplanten Kammerkonzert-Reihe in der Geschichte des Orchesters.
»Mahler – noch einmal … und immer wieder, so fügen wir hinzu«, mit diesen Worten begrüßt Heinz Enke, Musikchef des Hessischen Rundfunks, 1985 das Publikum in der Alten Oper zum zweiten Mahler-Zyklus des Orchesters unter Leitung von Eliahu Inbal.
Im Herbst 1987 bricht das hr-Sinfonieorchester zu seiner ersten Konzertreise nach Japan auf. Die dreiwöchige Einladung nach Fernost steht im Zusammenhang der internationalen Erfolge des Mahler-Zyklus, den Chefdirigent Eliahu Inbal mit dem damals noch als Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt bekannten hr-Sinfonieorchester 1985/86 realisierte und der als erste digitale Gesamteinspielung aller Mahler-Sinfonien auf CD erschien.
Über 30 Jahre hatte er dem hr-Sinfonieorchester als Proben-, Aufnahme- und Konzertsaal gedient. Mitte der 1980er Jahre musste er schließlich umfangreich saniert werden und wurde in diesem Rahmen neu gestaltet. Nach knapp zweijähriger Bauzeit, während der das Orchester in der Stadthalle von Oberursel probte, wird der Sendesaal des Hessischen Rundfunks am 22. Dezember 1988 mit einem feierlichen Konzert des hr-Sinfonieorchesters wiedereröffnet.
Vom 5. bis 26. Oktober 1991 befindet sich das hr-Sinfonieorchester (damals noch Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt) mit seinem Chefdirigenten Dmitrij Kitajenko auf seiner ersten Südamerika-Tournee. Die Konzertreise beschert den inzwischen Tournee-erfahrenen Orchestermusikern Eindrücke und Erfahrungen sehr gegensätzlicher Art.
Im Frühjahr 1994 bekommt das hr-Sinfonieorchester erstmals in seiner Geschichte einen »Artist in Residence«. Vom 8. bis 25. März ist der international renommierte Dirigent, Geiger und Bratscher Pinchas Zukerman zu Gast und realisiert insgesamt zehn Konzertprojekte.
Im Auftrag der »Gesellschaft der Freunde und Förderer des hr-Sinfonieorchesters« wird von Mark-Anthony Turnage und John Scofield im Jahr 2002 »Scorched« geschrieben. An der außergewöhnlichen Komposition für Jazz-Trio, Bigband und Orchester, die als »Work in Progress« entsteht, arbeitet man Anfang des Jahres in einer Reihe von »Reading Sessions« gemeinsam in Frankfurt unter der Leitung von Hugh Wolff zusammen, bevor das Werk mit dem Komponisten Mark-Anthony Turnage und dem Solisten John Scofield im November aus der Taufe gehoben wird.
Im Herbst 2003 bricht das hr-Sinfonieorchester unter Leitung von Chefdirigent Hugh Wolff erstmals zu einer Konzertreise nach China auf. Das Orchester sei »ein exzellenter Botschafter unseres Landes, ein Vertreter von Tradition und Innovation«, so Hessens Ministerpräsident Roland Koch in seinem Grußwort an die chinesischen Partner anlässlich der ersten Tournee des Orchesters nach China und Taiwan.
Im Jahre 2007 realisiert das hr-Sinfonieorchester erstmals ein eigenes Festival für Neue Musik. Auf ein Wochenende konzentriert, widmet sich die »Klangbiennale_1« am 11. bis 13. Mai 2007 den Kraftpotenzialen der Musik, ihren unterschiedlichen Energie- und Aggregatzuständen.
Unter dem Titel »A Taste of Beethoven's 5th« lädt das hr-Sinfonieorchester mit seinem Chefdirigenten Paavo Järvi am 15. Februar 2008 erstmals zum »Music Discovery Project« in die Jahrhunderthalle Frankfurt. Das im Jahr zuvor aus der Taufe gehobene neue multi-mediale Konzertprojekt findet dort mit Special Guest Mousse T. einen idealen Rahmen und die Begegnung von Klassik und Pop wird beim hr-Sinfonieorchester in der Folge zu einer erfolgreichen Tradition.
Mit dem Festival cresc… setzt das hr-Sinfonieorchester seit 2011 erstmals ein neues Zeichen für die aktuelle Musik in der Kulturregion Frankfurt Rhein Main. Die Biennale wurde gemeinsam mit dem Ensemble Modern in Weiterentwicklung dreier früherer Projekte in Frankfurt und Darmstadt ins Leben gerufen.