Kraftvoll und dramatisch, friedlich und fragil Nature & Earth
Ein Thema, das uns heute mehr bewegt als viele Generationen zuvor. Mehr bewegt, mehr betrifft, näher an uns heranrückt und uns bedrängt. Mehr als uns mitunter lieb ist.
Seit Alexander von Humboldt zu Beginn des 19. Jahrhunderts den modernen Natur-Begriff prägte, hat sich die Sicht des Menschen auf seine Umwelt und ihn selbst verändert: weg von der Vorstellung der »Krone der Schöpfung« hin zum Teil eines »großen Ganzen«, das der Mensch zwar selbst mitgestalten kann, aber dessen Gleichgewicht er nicht gefährden darf. Seitdem hat das Thema »Natur« viele Komponisten neu beschäftigt und ein mal mehr, mal weniger lautes Echo hervorgerufen in vielen großen musikalischen Werken.
Von Schönheit, Kraft und Zerbrechlichkeit ...
In dieser Saison wird sich das hr-Sinfonieorchester in einer Reihe von Konzerten dem Thema »Natur« und »Erde« nähern. Es stehen dabei Werke auf den Programmen, die die Schönheit, die Belebtheit, die Kraft und auch die Zerbrechlichkeit der Natur und unseres Planeten in Töne fassen. Mal ganz plastisch und illustrierend mit Windmaschine und Kuhglocken, mal mehr als Idee und Reflexion. Das kann so weit gehen, dass die Musik eine einzige große Werbemaßnahme für die Natur ist, so wie im Fall des Planet Earth-Soundtracks, den Filmmusik-Großmeister Hans Zimmer für eine britische Natur-Dokumentation konzeptioniert hat. Denn was man liebt, vernichtet man nicht, so der Komponist. Und wenn in unserer »Spotlight«-Reihe das Recycling Concerto von Gregor A. Mayrhofer erklingt, rückt ganz spielerisch das Thema Müllvermeidung ins Zentrum, Naturschutz von seiner musikalisch reizvollsten Seite.
Nordischer Tonfall ...
Auffällig ist, wie sehr seit dem 19. Jahrhundert gerade Komponisten des hohen Nordens mit klingenden Naturabbildungen in Verbindung gebracht werden. So wird immer wieder Jean Sibelius und Edvard Grieg ein kaum fassbarer, aber doch unüberhörbarer nordischer Tonfall attestiert, der mit einer schier endlos weiten Landschaft assoziiert wird, mit Kälte und Klarheit der Luft, mit den eindrücklichen Farbstimmungen des besonderen Lichts.
Auch heutige Musikschaffende des Nordens wie etwa die isländische Komponistin Anna Sigríður Þorvaldsdóttir (die sich alternativ Anna Thorvaldsdóttir schreibt, damit auch Nicht-Isländer mit ihrem Namen auf der Computertastatur zurechtkommen) nennt die Natur als wesentliche Inspirationsquelle: »Ich bin in Island sehr naturnah aufgewachsen und das hat wahrscheinlich dazu beigetragen, dass mich die Natur in meinem kreativen Prozess nährt und fördert. Es gibt so viele interessante Elemente, die mich inspirieren: Proportionen und Flüsse, Texturen und Strukturen. Mir geht es in meiner Musik nicht um eine romantische Darstellung der Natur. Die Natur kann kraftvoll und dramatisch sein, aber auch subtil und nuancenreich. Es gibt so viele Zwischentöne. Diese finde ich sehr anregend.«
Naturintervalle und Vogelrufe ...
Die Natur kann eine Stellvertreterin sein, für das Enden, Welken, Vergehen wie in Gustav Mahlers so atmosphärischem Lied von der Erde. Für die Überwindung Gottes wie in Richard Strauss’ an Nietzsche angelehnter Alpensinfonie. Oder, im Gegenteil, für »Gottes Natur« – dafür steht sie bei Antonín Dvořák. Mit seiner Ouvertüre In der Natur beschreibt er den gewissermaßen göttlichen Urzustand, mit einer auf einem Orgelpunkt ruhenden Klangfläche, mit Naturintervallen wie der reinen Quart und mit stilisierten Vogelrufen. »Wissen Sie, bevor ich sterbe, schreibe ich eine schöne Vogelsymphonie«, so Dvořák. Leider ist es dazu nicht gekommen, wir hätten Sie gerne mit dabei gehabt in unserem Schwerpunkt »Nature & Earth«.