Ligeti 100 Wenn hundert Metronome ticken …
Stellen Sie sich schon Mal Ihre Zeitmesser. Also zum einen Ihren Wecker, und zwar auf den 31. März 2023. Denn da feiern wir den Geburtstag eines der bedeutendsten Komponisten der Moderne. Und stellen Sie zugleich Ihren musikalischen Zeitmesser bereit: das Metronom.
31. März 2023. Denn da feiern wir den Geburtstag eines der bedeutendsten Komponisten der Moderne. Und stellen Sie zugleich Ihren musikalischen Zeitmesser bereit: das Metronom. Denn György Ligeti, der vor 100 Jahren in Siebenbürgen geboren wurde, hat 1962 ein »Poème symphonique« für 100 Metronome komponiert – und in unserem Erlebnis-Konzert-Projekt »Ligeti 100« soll das realisiert werden – nicht zuletzt mit Ihrem Taktschläger. Wer möchte, kann hier Instrumentenbereitsteller, -bediener und -halter werden und quasi unter der Leitung von Chefdirigent Alain Altinoglu »musizieren«.
Event-Partituren nach Art des Fluxus wie diese, so außergewöhnlich sie auch erscheinen mögen, stehen besonders plastisch für die Neugierde und Grenzenlosigkeit dieses Komponisten. Er spielte mit Sinnestäuschungen, experimentierte mit kleinsten Tonabständen, verschob Rhythmen und setzte die Zeit außer Kraft – mit Werken, die bis heute nichts von ihrer Faszination verloren haben.
Wenn das letzte Metronom im Großen Saal der Alten Oper ausgetickt hat, wird das Orchester anheben zu »Atmosphères«, einer riesenhaft aufgesplitteten Partitur, in der 87 Instrumente individuell geführt werden und so einen wahren Klangkosmos generieren – im Film »2001: Odyssee im Weltraum« gab das Stück den Sound ab für die Weite des Universums.
»Man kann nicht einfach zur Tonalität zurück«
Und direkt dann der Übergang zu Chormusik von Palestrina, dem wegweisenden Renaissance-Komponisten, die Reinheit seiner Harmonien wird einen denkbar großen Kontrast bieten. Ligetis Mikrotonalität, also die Auflösung aller in den klassischen Intervallen gedachter Musik, als die letztendliche Zuspitzung eines Prozesses, der vor mehr als 500 Jahren begann. Der Komponist, der – heute so aktuell wie lange nicht – 1956 aus Ungarn infolge der Niederschlagung des Volksaufstandes durch sowjetische Truppen fliehen musste, sah sich selbst als einen musikalischen Ausbrecher: »Jetzt gibt es kein Tabu mehr, alles ist erlaubt. Aber man kann nicht einfach zur Tonalität zurückkehren, das ist nicht der Weg. Wir müssen einen Weg finden, weder zurückzugehen noch die Avantgarde fortzusetzen. Ich befinde mich in einem Gefängnis: Eine Wand ist die Avantgarde, die andere Wand ist die Vergangenheit, und ich will ausbrechen.«
Heavy Metal für Cembalo
Bei »Ligeti 100« wird mit dem »Concert Românesc« der Komponist der frühen Phase zu erleben sein, als er noch hörbar seinem Landsmann Béla Bartók verwandt war. Seine Cembalo-Musik dagegen zeigt ganz den Ligeti der motorisch-rhythmischen Art – das Cembalo mochte er übrigens gerne, 1978 fusionierte er für »Hungarian Rock« eine barocke Chaconne mit dem Geist des Heavy Metal. Der Iraner Mahan Esfahani ist einer der wenigen Cembalisten, die auch für Neue Musik ein Ohr haben. Nicht in Monopolen denken, ganz in Ligetis Sinne.
Obwohl György Ligeti selbst ohne sie komponierte, war die Elektronische Musik der 1950er-Jahre ein starkes Stimulans für ihn. Zu dieser Zeit arbeitete er im Studio für elektronische Musik des WDR in Köln und kam dort in Kontakt mit Karlheinz Stockhausen und anderen Pionieren der Elektronischen Musik. Diese besondere Klangwelt wird in der Alten Oper ein DJ wieder auferstehen lassen, wobei das artifiziell Gemeinte jederzeit auch fesselnde, faszinierende und im besten Sinne unterhaltende Qualitäten hat. Wie eben die Musik von György Ligeti selbst, die hoch spannend ist und einnehmend zugleich.