Junges Konzert – 30.10.2019 Schostakowitsch

Dmitrij Schostakowitsch: 7. Sinfonie

Klaus Mäkelä
Bild © Heikki Tuuli
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Programm

KLAUS MÄKELÄ | Dirigent

Dmitrij Schostakowitsch | 7. Sinfonie C-Dur op. 60 (»Leningrader«)

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»So jedenfalls klingt in meinen Ohren Krieg«, hat der Komponist Dmitrij Schostakowitsch über den ersten Satz seiner 7. Sinfonie gesagt. Sie ist kein Soundtrack für ein martialisches Video-Spiel, sondern eine Musik für einen echten Krieg. Entstanden ist sie 1941, als seine Heimatstadt von der deutschen Wehrmacht belagert wurde – es waren mit die grausamsten 900 Tage des Zweiten Weltkriegs. Schostakowitsch aber schrieb keine heroische Schlachtensinfonie, im Gegenteil: Es wurde ein Werk, das die Tragik und Unmenschlichkeit eines Krieges in Töne fasste. Radikal brutal kann diese Musik klingen, aber auch verzweifelt und grotesk. Zur ersten Probe in der blockierten und ausgehungerten Millionenstadt kamen nur 15 Musiker des Orchesters, die übrigen waren bereits gestorben. Dennoch stemmte die Stadt eine Aufführung, sie wurde zum Symbol für den Durchhaltewillen der Leningrader.

Dmitrij Schostakowitsch (1906–1975)
Sinfonie C-Dur op. 60 (»Leningrader«) (1941)

DER KOMPONIST

Dmitrij Schostakowitsch, 1906 in St. Petersburg geboren und 1975 in Moskau gestorben, war neben Igor Strawinsky und Sergej Prokofjew der bedeutendste russische Komponist im 20. Jahrhundert. Kein musikalischer Weltbürger wie jene beiden, griff er die musikalische Tradition Mussorgskijs auf, vor allem dessen Realismus und die Körperhaftigkeit seiner Musik, und suchte nach einem neuen, spezifisch russischen Idiom, das bei aller Kühnheit stets verständlich bleiben sollte. Als einer der letzten großen Sinfoniker seiner Zeit wies ihm dabei der »Ton« Tschaikowskys und insbesondere Gustav Mahlers den musikalischen Weg.  

Schostakowitschs Verhältnis zum kommunistischen System der Sowjetunion war ambivalent: Durchaus ein überzeugter »Linker«, gleichzeitig wie die meisten großen Künstler ein glühender Humanist, lehnte er die totalitäre Diktatur des stalinistischen Staatsapparates ab. Zweimal, in den Jahren 1936 und 1948, geriet er auch selbst in die gefährlichen Mühlen der sowjetischen Willkürherrschaft. Um das eigene Überleben in seiner geliebten russischen Heimat und die Existenz seiner Familie zu sichern, sah sich Schostakowitsch daher letztlich gezwungen, sich die offizielle Partei-Linie zu eigen zu machen. Gegenüber dem sowjetischen Staat blieb er stets loyal, 1960 trat er – wohl auf entsprechenden Druck hin – in die KPdSU ein, war von 1957 bis 1968 Sekretär des Komponistenverbandes der UdSSR und wurde 1962 sogar in den Obersten Sowjet gewählt. Gleichzeitig veröffentlichte Schostakowitsch Kompositionen, die der Doktrin des »Sozialistischen Realismus« zumindest nach außen hin entsprachen, und hielt »problematischere« Werke weitgehend zurück. Was er indes wirklich dachte, vertraute der Meister der musikalischen Doppelbödigkeit seiner Musik an. Und so spielte er die Rolle des »Gottesnarren« der Zarenzeit, der hinter der Maske der Einfältigkeit die Wahrheit verbarg.

DAS WERK

»Meine Siebte, die ›Leningrader Sinfonie‹, schrieb ich rasch. Ich musste sie einfach schreiben. Ringsum war Krieg. Ich war mitten unter dem Volk, ich wollte das Bild unseres kämpfenden Landes in Musik festhalten. Schon in den ersten Kriegstagen setzte ich mich hin und fing an zu arbeiten. Ich schrieb über meine Zeitgenossen, die Kraft und Leben einsetzten für den Sieg über den Feind«, so erinnert sich Schostakowitsch in seinen 1979 von Solomon Volkow posthum veröffentlichten »Memoiren«. Mit der 7. Sinfonie hatte Schostakowitsch 1941 als Sinfoniker seinen Weltruhm begründet. Sie war in Teilen im belagerten, von deutschen Truppen eingeschlossenen Leningrad entstanden und bereits zu einer Legende geworden, bevor sie fertiggestellt war. Die Stadt lag damals unter ständigem Beschuss und konnte nur noch aus der Luft versorgt werden. Im Oktober 1941 wurde Schostakowitsch mit seiner Familie dann aus Leningrad ausgeflogen und nach Kuibyschew evakuiert, wo er die Sinfonie im Dezember letztlich vollendete. Im März 1942 fand dort auch ihre Uraufführung statt; später folgten Aufführungen in Moskau, selbst im belagerten Leningrad, in Nowosibirsk, Jerewan, Orenburg und Baku – wo immer sich die evakuierten sowjetischen Orchester befanden. Und von dort nahm die Sinfonie ihren Siegeszug um die Welt: Auf Mikrofilm über Persien und Ägypten in den verbündeten Westen ausgeflogen, wurde sie in England und Amerika von so großen Dirigenten wie Sir Henry Wood und Arturo Toscanini als »Kriegssinfonie« und als ein musikalisches Symbol des Widerstands gegen Nazi-Deutschland präsentiert.

Unter der extremen Belastung der letztlich erfolglosen Belagerung seiner Heimatstadt schrieb Schostakowitsch in den Wintermonaten 1941/42 auch einen »Leitartikel« zur »Leningrader Sinfonie«, in dem er den programmatischen Gehalt des Werkes erläuterte: »Der erste und gleichzeitig ausgedehnteste Satz hat dramatischen, tragischen Charakter. Die drohenden Ereignisse des Kriegs haben unser friedliches Leben jäh unterbrochen. Diese Musik hat noch eine andere Aufgabe: Als Requiem soll sie die Trauer unseres Volks um seine toten Helden zum Ausdruck bringen. Die beiden folgenden Sätze sind als Intermezzo gedacht. Sie bilden eine Bekräftigung des Lebens im Gegensatz zum Krieg… Der vierte Satz ist unserem Sieg gewidmet. Er ist die direkte Fortsetzung, die logische Folgerung des zweiten und dritten Satzes. Er symbolisiert den Sieg des Lichts über die Dunkelheit, der Wahrheit über den Wahnsinn, der Menschlichkeit über die Tyrannei.«

Ein musikalisches Manifest wie dieses hätte 200 Jahre zuvor auch schon von den Komponisten der Napoleonischen Ära formuliert worden sein können. Jedenfalls wurde Schostakowitschs 7. Sinfonie in der Sowjetunion als Mahnmal gegen den deutschen Faschismus verstanden und als heroische Kunstäußerung im Sinne des Bolschewismus auch mit dem Stalin-Preis ausgezeichnet. Und jenseits der von Schostakowitsch gegebenen Deutungserklärungen legte die Musik eine solche Interpretation durchaus auch nahe, nicht zuletzt wegen jener effektvollen Episode im ersten Satz, die zur Popularität der Sinfonie wohl am meisten beigetragen hat. Dort steigert Schostakowitsch eine banale Melodie im Stil des Ravel'schen Boléro durch immer stärkere Instrumentierung zu einem brutalen Marsch von martialischer Lautstärke. Dieser Abschnitt ist als »Invasion« in die Musikgeschichte eingegangen: Die so triviale Schlagermelodie, die ganz leise beginnt und so wüst endet, soll konkret den Einmarsch der Nazi-Truppen symbolisieren. Schostakowitsch hat diese Episode selbst »Invasion« genannt und diese Auslegung immer bestätigt.

Aber ist das wirklich so eindeutig? Ist die 7. Sinfonie wirklich nur ein effektvolles Durchhaltestück? Hat Schostakowitsch tatsächlich nicht mehr beabsichtigt als ein Stück Programmmusik, als ein Schlachtengemälde à la Beethovens Wellingtons Sieg oder Tschaikowskys Ouvertüre 1812? Nach dem Krieg, als die Reglementierungen wieder einsetzten, begannen sowjetische Kritiker, an Schostakowitschs 7. Sinfonie herumzudeuteln. Tichon Chrennikow – der 1948 Chef des Komponistenverbands wurde, in dieser allmächtigen Funktion sein Idol Stalin bis 1992 überdauerte und erst 2007 starb – bemängelte, dass in der vielgerühmten Sinfonie eigentlich nur die Fratze des Faschismus ein prägnantes Gesicht habe, ein wirklicher Gegner in der Musik aber fehle. An Schostakowitschs »Leitartikel« zur 7. Sinfonie fällt auf, dass seine Formulierungen in dieser Hinsicht keineswegs eindeutig waren, sondern ebenso etwa auf die innenpolitischen Ereignisse in der Sowjetunion angewendet werden könnten, denn Begriffe wie »Krieg« und »Sieg« erscheinen mehrdeutig. In seinen posthum veröffentlichten »Memoiren« findet sich letztlich denn aus der zeitlichen Distanz auch eine durchaus weiter gefasste Deutung der »Leningrader Sinfonie«:

»Mit Gedanken an die Siebte beschäftigte ich mich schon vor dem Krieg. Sie war daher nicht das bloße Echo auf Hitlers Überfall. Das Thema ›Invasion‹ hat nichts zu tun mit dem Angriff der Faschisten. Ich dachte an ganz andere Feinde der Menschheit, während ich dieses Thema komponierte. Natürlich ist mir Faschismus verhasst. Aber nicht nur der deutsche, sondern jeder Faschismus. Man betrachtet die Vorkriegszeit heute gern als Idylle. Alles war schön und gut, bis Hitler kam. Hitler war ein Verbrecher, nicht zu bezweifeln. Aber auch Stalin war ein Verbrecher. Ich empfinde unstillbaren Schmerz um alle, die Hitler umgebracht hat. Aber nicht weniger Schmerz bereitet mir der Gedanke an die auf Stalins Befehl Ermordeten. Ich trauere um alle Gequälten, Gepeinigten, Erschossenen, Verhungerten. Es gab sie in unserem Lande schon zu Millionen, ehe der Krieg gegen Hitler begonnen hatte. Der Krieg gegen Hitler brachte unendlich viel neues Leid, neue Zerstörungen. Aber darüber habe ich die schrecklichen Vorkriegsjahre nicht vergessen. Davon zeugen alle meine Sinfonien, angefangen mit der Vierten. Die Siebte und die Achte gehören auch dazu. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, dass man die Siebte die ›Leningrader‹ Sinfonie nennt. Aber in ihr geht es nicht um die Blockade. Es geht um Leningrad, das Stalin zugrunde gerichtet hat. Hitler setzte nur den Schlusspunkt.«

Andreas Maul

Die Interpreten:

Klaus Mäkelä

kann dank seiner Gabe, mit Orchestern innerhalb kürzester Zeit eine enge musikalische Verbindung herstellen zu können, bereits eine intensive weltweite Bühnenpräsenz aufweisen. Mit Beginn der Saison 2020/21 wurde er zum Chefdirigenten und Künstlerischen Berater des Oslo Philharmonic Orchestra ernannt. Außerdem ist er Erster Gastdirigent des Schwedischen Radio-Sinfonieorchesters sowie Artist in Association beim Tapiola Sinfonietta und Künstlerischer Leiter des Turku Music Festival in seiner Heimat Finnland.

In dieser Spielzeit gibt Klaus Mäkelä sein Debüt beim NDR Elbphilharmonie Orchester, bei den Münchner Philharmonikern, bei den Bamberger Symphonikern, bei der Niederländischen Radiophilharmonie, dem Orchestre Philharmonique de Radio France, dem Spanischen Nationalorchester, beim London Philharmonic Orchestra, dem City of Birmingham Symphony Orchestra, beim Hallé-Orchester Manchester und beim Scottish Chamber Orchestra. Wiedereinladungen führen ihn daneben zum Oslo Philharmonic Orchestra, zum MDR-Sinfonieorchester, zum Minnesota Orchestra, nach Ottawa, Göteborg und Tokio sowie zum Orchestre de Chambre de Lausanne.

Zu den Höhepunkten der vergangenen Saison zählen Mäkeläs Auftritte mit dem Orchestre de Paris, dem Orchestre National de Lyon, dem hr-Sinfonieorchester, den Sinfonieorchestern von Antwerpen, Bern und Malmö, dem Bergen Philharmonic, dem Iceland Symphony Orchestra und dem Orchestre National du Capitole de Toulouse, welche vielfach zu umgehenden Wiedereinladungen führten.

Im Bereich der Oper gab Klaus Mäkelä sein Debüt mit Mozarts Die Zauberflöte an der Finnischen Nationaloper, zudem leitete er eine konzertante Aufführung von Erkki Melartins Aino.

Klaus Mäkelä studierte Orchesterleitung an der Sibelius-Akademie in Helsinki bei Jorma Panula sowie Cello bei Marko Ylönen, Timo Hanhinen und Hannu Kiiski. Als Solist gab er Konzerte mit zahlreichen finnischen Orchestern ebenso wie beim Kuhmo Chamber Music Festival und beim Naantali Music Festival. Er spielt ein Cello von Giovanni Grancino (1698) als großzügige Leihgabe der OP Art Foundation.

Quelle: hr-Sinfonieorchester