Junges Konzert – 09.12.2015 Heldenleben
Alexander Zemlinsky: Sinfonietta | Richard Strauss: Ein Heldenleben
Eines der imposantesten Orchesterwerke von Richard Strauss ist in diesem Jungen Konzert mit Andrés Orozco-Estrada zu erleben sowie ein nicht minder faszinierendes Werk von Alexander Zemlinsky.
Da schreibt ein Komponist ein großes, mächtig auftrumpfendes Orchesterwerk mit dem Titel »Ein Heldenleben«, setzt dazu nicht weniger als acht Hörner, fünf Trompeten, zwei Tuben und zwei Harfen ein, beschreibt darin »Des Helden Friedenswerke« und verspottet »Des Helden Widersacher« – und muss sich folglich nicht wundern, dass sich das Publikum doch etwas empört über ein derart überschäumendes Selbstbewusstsein. Aber es waren einfach selbstbewusste Jahre damals kurz vor der Jahrhundertwende, und nicht nur einem Richard Strauss schwellte die Brust. Die Nation strotzte vor Kraft, die Wirtschaft brummte, die Industrie spuckte Feuer, alles schien möglich. Und Strauss hielt es mit Nietzsche, der sich auf gottgleicher Stufe wähnte. Da war ein Alexander Zemlinsky von ganz anderem, weicheren Holz. Ein Suchender, ein spät Erkannter, ein sich Zurücknehmender. Seine »Sinfonietta« aus dem Jahr 1934 allerdings löst noch immer Staunen aus, nicht nur im Konzertsaal, auch auf YouTube. »Crazy«, so kommentiert sie dort ein Hörer. »And what an extraordinary composer this man was!« ein anderer.
Alexander Zemlinsky (1871-1942)
Sinfonietta op. 23 (1934)
DER KOMPONIST
Alexander Zemlinsky, geboren 1871 in Wien und gestorben 1942 in Larchmont/New York, gehört als Komponist und Dirigent zu den herausragenden Musikerpersönlichkeiten seiner Generation. Nach einem Klavier- und Kompositionsstudium am Wiener Konservatorium wurde er früh von Johannes Brahms und Gustav Mahler gefördert und erzielte schon bald erste Erfolge als Komponist. Als Leiter des 1895 von ihm gegründeten Amateur-Orchesters »Polyhymnia« lernte er den drei Jahre jüngeren, Cello spielenden Arnold Schönberg kennen, dem er anschließend Theorieunterricht erteilte und mit dem er eine enge Freundschaft schloss. 1901 heiratete Schönberg Zemlinskys Schwester Mathilde. Ab 1900 begann Zemlinskys viel beachtete Karriere als Dirigent, zunächst an verschiedenen Wiener Operetten- und Opernhäusern, 1911–27 am Deutschen Theater in Prag und anschließend an der Berliner Kroll-Oper bis zu deren Schließung 1931. Infolge der Machtergreifung Hitlers kehrte Zemlinsky, der mütterlicherseits teils jüdischer Abstammung war und bis 1899 auch der Israelitischen Kultusgemeinde angehörte (der aus der Slowakei stammende Vater war vor seiner Heirat vom Katholizismus zum Judentum konvertiert), nach Wien zurück. Nach dem »Anschluss« Österreichs an Nazi-Deutschland 1938 floh Zemlinsky schließlich über Prag nach New York, wo er von einem Nervenzusammenbruch und mehreren Schlaganfällen gezeichnet 1942 an einer Lungenentzündung starb.
Die Tatsache, dass Zemlinsky unterschiedlichste musikalische Einflüsse – allen voran von Brahms und Wagner – zu einer avancierten, oftmals hochexpressiven Tonsprache verwoben hat, brachte ihm schon zu Lebzeiten den Vorwurf des Eklektizismus ein. Vonseiten der Avantgarde stand er andererseits in der Kritik, weil er bewusst auf den radikalen Schritt vieler seiner Zeitgenossen verzichtete, das tonale System aufzugeben. Erst seit den 1970er Jahren wird Zemlinskys jahrzehntelang in Vergessenheit geratenes Œuvre wiederentdeckt, wobei vor allem seine Opern sowie die »Lyrische Sinfonie« Eingang ins Repertoire gefunden haben.
DAS WERK
»Alexander Zemlinsky ist derjenige, dem ich fast all mein Wissen über die Technik und die Probleme des Komponierens verdanke«, bekannte Arnold Schönberg im Jahre 1949 auf die prägenden Monate zurückblickend, in denen er mehr als 50 Jahre zuvor die musiktheoretische Unterweisung seines kaum älteren Kollegen genoss – seines einzigen Kompositionslehrers überhaupt, der zudem schon bald ein enger Freund und schließlich auch sein Schwager werden sollte. »Ich habe immer fest daran geglaubt, dass er ein großer Komponist war, und ich glaube noch immer daran. Möglicherweise wird seine Zeit früher kommen als man denkt.«
Seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts ist Zemlinskys Zeit tatsächlich gekommen – zumindest sind sein Name und seine Werke weitgehend aus der Versenkung aufgetaucht, in welcher sie schon in seinen letzten Lebensjahren zunehmend verschwunden waren und wo sie anschließend noch lange verblieben. Einst als hervorragender Dirigent bekannt (Strawinsky bezeichnete eine Prager Aufführung von Mozarts »Figaro« unter Zemlinsky rückblickend als »die befriedigendste Opernerfahrung meines Lebens«) und als Komponist von vielen berühmten Kollegen hoch angesehen, litt die Rezeption seiner Kunst letztlich wohl an deren schwer einzuordnender Mittelstellung zwischen Spätromantik und Avantgarde: Einerseits interessierte sich Zemlinsky stark für die musikalische Moderne seiner Zeit und setzte sich aktiv für die Werke von Schönberg, Berg, Webern, Strawinsky, Weill oder Hindemith ein; andererseits stellte er für sich selbst die grundsätzliche Relevanz der spätromantischen Musiktradition nie ernsthaft in Frage.
Noch bis zur Mitte der 1920er Jahre, als in der Kunst Mitteleuropas eigentlich nichts mehr so war wie noch vor der Epochenwende des Ersten Weltkriegs, blieb Zemlinsky seiner »Fin de siècle«-Ästhetik fast ungebrochen treu: einer Instrumentierungskunst von meisterhafter Raffinesse, einer zuweilen bis zum Äußersten gespannten Expressivität und einer harmonisch die Grenzen des traditionellen Tonsystems auslotenden Musiksprache. Erst mit dem 1924 in Andenken an seine Schwester Mathilde (Schönbergs erster Frau) komponierten 3. Streichquartett zeigte sich erstmals ein neuer Ton, indem Zemlinsky auf die für ihn bis dahin charakteristische Üppigkeit und Klangfülle verzichtete. Unmittelbar darauf folgte allerdings eine mehr als fünfjährige schöpferische Krise, die erst mit der Arbeit an der Oper »Der Kreidekreis« (1930–32) überwunden werden konnte.
Wie der Zemlinsky-Forscher Antony Beaumont konstatiert, wird der Spätstil des Komponisten »von einer schnörkellosen Linearität geprägt, die teils den vorherrschenden Bauhaus-Prinzipien von Klarheit und Funktionalität entsprach, teils auf den Einzug von Jazz – oder zumindest von dessen Instrumenten, Rhythmen und Klangmöglichkeiten – in die europäische Kunstmusik zurückging.« Dass den mittlerweile über 50-jährigen Zemlinsky die Einflüsse aktueller Strömungen wie Neoklassizismus und Neue Sachlichkeit offensichtlich nicht unberührt ließen, beweisen der schärfere Ton, die linearere Schreibweise und die objektivere, emotional weniger aufgeladene Musik seiner letzten Schaffensphase.
Eines der bedeutendsten Stücke aus diesen Jahren ist die dreisätzige »Sinfonietta« op. 23 – Zemlinskys erste rein orchestrale Komposition nach 30 Jahren und das letzte seiner Werke, dessen Uraufführung er noch erleben sollte. Ihre Entstehung verdankt sie letztlich indirekt einer Beschwerde des Komponisten im Jahre 1931 bei der Universal Edition, wonach diese zu wenig für die Verbreitung seiner Werke tun würde. »Die größte Schwierigkeit ist, daß der Verlag kein reines Orchesterwerk von Ihnen besitzt. Sowie Solisten dabei sind, ist der Vertrieb viel schwieriger … Hätten Sie nicht Lust einmal, ein Orchesterwerk, das durch seine kurze und praktische Besetzung auch für den Vertrieb leichter ist, zu schreiben?«, lautete die Antwort des Verlages, und sie scheint zumindest mittelfristig einen Schaffensimpuls bei Zemlinsky freigesetzt zu haben.
Denn zunächst mit anderen Projekten und dem durch die politischen Umstände erzwungenen Umzug von Berlin nach Wien, schrieb der Komponist mit seiner »Sinfonietta« erst 1934 das vom Verlag anvisierte Werk. Die Verkleinerungsform im Titel ist dabei keine bloße Spielerei, sondern durchaus Programm: Elf Jahre nach der noch gänzlich anders gearteten, an Mahlers »Lied von der Erde« orientierten »Lyrischen Sinfonie« mit großem Orchester und zwei Solo-Sängern kehrte Zemlinsky hier wieder zur rein instrumentalen Besetzung zurück, das Instrumentarium ist aber deutlich ausgedünnt und geht mit seinem nur doppelt besetzten Holzbläser-Chor kaum über das Brahms’sche Sinfonieorchester hinaus (Zemlinsky fügt diesem lediglich Harfe, Englischhorn, Es-Klarinette und Schlagzeug hinzu). Zudem wird die klassische Viersätzigkeit der Sinfonie zugunsten des dreiteiligen Schemas »schnell–langsam–schnell« aufgegeben.
Diese »postromantische« Reduktion der Mittel rückt Zemlinskys nur rund 20 Minuten lange »Sinfonietta« ebenso wie die mitunter »motorische« Rhythmik der beiden Rahmensätze in die Nähe des um 1930 florierenden neoklassizistischen Stils. Einen auffällig innigen Ton mit Untertönen tragischer Verzweiflung schlägt im Kontrast dazu jedoch die Ballade an. In diesem sowohl von seiner Position als auch von seiner Ausdruckskraft her zentralen Satz des Werkes verstärken thematische Zitate aus eigenen, früheren Kompositionen den Eindruck eines wehmütigen Rückblicks – eine sehr persönlich gefärbte Musik in der Art eines Trauermarsches mit möglicherweise autobiografischen Bezügen.
Adam Gellen
Richard Strauss (1864-1949)
Ein Heldenleben op. 40 (1897–98)
DER KOMPONIST
Richard Strauss, 1864 in München geboren und 1949 in Garmisch-Partenkirchen gestorben, hat man zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Avantgardisten gefeiert. Nach seinem Rückzug auf eine traditionsgebundene harmonische Sprache musste er sich später den Vorwurf des Konservativen und Reaktionärs gefallen lassen, wodurch er zu Lebzeiten allerdings bereits zum Klassiker avancierte. Als Generationsgenosse und zugleich Antipode von Mahler, Debussy, Sibelius und Pfitzner setzte er die von Hector Berlioz und Franz Liszt entwickelte Tradition der sinfonischen Programmmusik auf eine ihm eigene, neue Art fort. Der Schwerpunkt seiner sinfonischen Produktion lag dabei in dem Jahrzehnt vor der Jahrhundertwende, vor seinen großen Erfolgen als Bühnendramatiker.
Als Sohn des Solo-Hornisten der Münchner Hofkapelle musikalisch sehr konservativ erzogen, lernte der junge Strauss über Hans von Bülow und andere Wagner-Enthusiasten die Werke der »Neudeutschen Schule« kennen und fand darauf rasch den Weg zu seinem eigenen Stil. 1884 debütierte er als Dirigent und war fortan bis 1924 auch an bedeutenden Opernhäusern tätig. 1898 gehörte Strauss zu den Mitbegründern der Genossenschaft deutscher Tonsetzer und engagierte sich mit Erfolg für die soziale Hebung des Komponistenstandes. 1933 übernahm Strauss für zwei Jahre die Präsidentschaft der Reichsmusikkammer. Ansonsten lebte er ausschließlich für sein kompositorisches Schaffen und seine Gastdirigate. Wegen seines politischen Engagements während der NS-Zeit umstritten, übersiedelte Strauss nach dem Krieg in die Schweiz und kehrte erst kurze Zeit vor seinem 85. Geburtstag 1949 nach Deutschland zurück, in seine Villa nach Garmisch, wo seit 1905 die meisten seiner Werke entstanden waren.
DAS WERK
Als Kenner der Malerei wusste Richard Strauss um die alte Tradition des Selbstporträts; als Leser Friedrich Nietzsches hatte er sich falsche Bescheidenheit abgewöhnt; als Kind seiner Zeit und seiner Nation verkörperte er auf eigene Weise die expansive Kraft der 1890er-Jahre – einer Zeit der Hochkonjunktur, nicht nur auf dem Gebiet der Wirtschaft. Das technische Zeitalter war in seine moderne Phase eingetreten, eine nicht abreißende Kette von Erfindungen ließ die Zukunft optimistisch erscheinen, eine neue Generation von Staatsmännern, Wirtschaftskapitänen, Wissenschaftlern und Künstlern drängte das alte 19. Jahrhundert beiseite. Und der junge Richard Strauss ließ Sinfonische Dichtungen vom Stapel laufen, als wären es Schlachtschiffe.
Gewiss ist »Ein Heldenleben»«, komponiert 1897 bis 1898, auf ihn selber gemünzt. Alle abdämpfenden, glättenden, moderierenden Kommentare kamen nachträglich und änderten nichts am komponierten Faktum. Freilich hat Strauss nicht ganz zu Unrecht auf berühmte Vorläufer hingewiesen: Auch Wagners »Tannhäuser« war kaum verkappte programmatische Selbstdarstellung gewesen; oder die neurotische Egozentrik im literarischen Ambiente der »Symphonie fantastique« von Berlioz, auch sie eine Musik in Ich-Form, ein Selbstporträt. Dennoch hat bereits bei der Uraufführung im Frankfurter Museumskonzert vom 3. März 1899 irritiert, dass die Monumentalität des Strauss'schen Werkes von privater Bürgerlichkeit durchkreuzt wird. Im Programmheft waren seinerzeit folgende Zwischenüberschriften nachzulesen:
Der Held – Des Helden Widersacher – Des Helden Gefährtin – Des Helden Walstatt – Des Helden Friedenswerke – Des Helden Weltflucht und Vollendung.
Richard Strauss hat später, als sich der Sturm der Entrüstung in der musikalischen Öffentlichkeit nicht legen wollte, alle diese Überschriften aus der Partitur gestrichen. Komponiert sind sie trotzdem, mit Strauss'scher Perfektion, als Themen eines erweiterten Sonatensatzes in Beethovens heroischer Tonart Es-Dur. Einige Jahre später gesellte sich noch die »Sinfonia domestica« als lyrische Schwester hinzu, bevor sich Strauss – auch zur Erleichterung manch seiner Liebhaber – von privaten Sujets abwandte. Als alter Mann äußerte er sogar: »Ich mag das Stück gar nicht so besonders…«
Zitate eigener Werke machen im »Heldenleben« unmissverständlich deutlich, dass es sich bei dem Held um Strauss selbst handelt. Im fünften Teil werden »Don Juan«, »Zarathustra«, »Tod und Verklärung«, »Don Quixote«, »Till Eulenspiegel«, »Guntram«, »Macbeth« und das Lied »Traum durch die Dämmerung« zitiert. Über die durch die Solo-Violine charakterisierte »Gefährtin« im dritten Teil äußerte Strauss zudem: »Meine Frau ist es, die ich darstellen wollte. Sie ist sehr kompliziert, … ein wenig kokett, sich selbst niemals ähnlich, von Minute zu Minute wechselnd. Zu Anfang folgt ihr der Held, nimmt den Ton auf, den sie gerade gesungen hat; immer wieder entflieht sie. Dann sagt er schließlich: ›Geh du nur. Ich bleibe hier!‹ Und er zieht sich in seine Gedanken, in seinen eigenen Ton zurück. Dann aber sucht sie ihn…«
Letztlich hatte es das pompöse, »wilhelminische« Fin-de-siècle-Werk trotz der Wagner-Nachfolge schwer, seinen Platz im Konzertleben zu finden. Einerseits lag dies wohl an der großen Besetzung und der außerordentlich schwierigen Solo-Violin-Passage – ein Stück, an dem sich noch heute die Virtuosität eines Konzertmeisters messen lässt. Andererseits lag auch etwas Provozierendes in dem Werk: Strauss hatte das »Heldenleben« kurz nach seiner Berufung als königlich preußischer Hofkapellmeister an die Berliner Lindenoper vollendet. Die Egozentrik und das übermäßige Selbstbewusstsein, das nötig war, um das eigene Leben als das eines Helden zu beschreiben, brachte ihm wenig Sympathien ein, schon gar nicht die der Musikkritiker, die sich als »Nörgler und Widersacher« persönlich angesprochen fühlten.
Andreas Maul