Junges Konzert – 08.06.2016 Rhapsodie in Rot

Manuel de Falla: Nächte in spanischen Gärten / 2. Suite aus »Der Dreispitz« | Leoš Janáček: Taras Bulba

»Rhapsodie in Rot« – So könnte man das letzte Junge Konzert der Saison überschreiben, in dem der spanische Pianist Javier Perianes mediterrane Impressionen präsentiert. Doch auch Martialisch-Düsteres ist mit dem hr-Sinfonieorchester zu erleben.

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Programm

JAVIER PERIANES | Klavier
ANDRÉS OROZCO-ESTRADA | Dirigent

Manuel de Falla | Nächte in spanischen Gärten / 2. Suite aus »Der Dreispitz«
Leoš Janáček | Taras Bulba

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Vom Heldenleben zum Heldentod: Auch vor rund 400 Jahren wurde in der Ukraine blutig gestritten, der Kosakenanführer Taras Bulba kämpfte an vorderster Front. Und er tötete sogar den eigenen Sohn, weil dieser eine Feindin liebte. So grausam die Historie, so begeistert der Komponist Leoš Janáček, der jenem Taras Bulba eine dreisätzige Rhapsodie widmete, deren Thematik abschrecken mag, deren effektvolle Musik aber begeistern muss. Drei Sätze umfasst Janáčeks Werk, alle drei tragen den Tod im Namen: »Andrijs Tod«, »Ostaps Tod«, »Prophezeiung und Tod des Taras Bulba«. Statt Zahn um Zahn geht es aber auch Hand in Hand. Manuel de Falla zeigte in seinen »Nächten in spanischen Gärten«, wie gut sich etwa andalusische und orientalische Folklore miteinander vertragen – und wie versöhnlich der träumerische französische Impressionismus mit seinen betonten Unschärfen die Stile ummantelt. Konfliktfrei geht es aber auch bei de Falla, diesem so spektakulär das Orchester beherrschenden Spanier nicht immer ab. Allerdings, so zeigt uns die Ballettmusik zu »Der Dreispitz«, kommt man mit klugem Köpfchen und bodenständiger Bauernschläue mitunter weiter als mit Uniform und Hoheitszeichen.

Leoš Janáček (1854–1928)
Taras Bulba (1915–18)

DER KOMPONIST

Leos Janáček, 1854 im mährischen Dorf Hukvaldy (Hochwald) geboren und 1928 in Moravská Ostrava (Mährisch-Ostrau) gestorben, führt trotz seines Ranges als tschechischer Nationalkomponist noch heute eher ein Schattendasein im Konzertrepertoire. Umso bemerkenswerter ist die große Bedeutung, die man ihm von Seiten der Musikwissenschaft beimisst. Denn wie ein erratischer Block steht Janáčeks Schaffen in der Musiklandschaft. Er hatte keine Vorgänger und eigentlich auch keine Nachfolger. Wenig beachtete Werke im Geiste der Spätromantik füllten sein Schaffen, bis er im Alter von 50 Jahren in seiner Oper »Jenůfa« plötzlich mit einer neuen Tonsprache von explosiver dramatischer Kraft überraschte.

Janáček gewann dieses spezifische Idiom aus der Sprachmelodie der tschechischen Volkslieder, die er jahrelang studiert hatte und sich musikalisch zu Nutze machte. Gegen Konventionen hatte sich der Einzelgänger schon während seiner Studien in Prag, Leipzig und Wien aufgelehnt. Als Sängerknabe des Augustinerstifts war er aus ärmlichen Verhältnissen nach Brünn gekommen, wo er schließlich zeitlebens in provinzieller Enge arbeiten und als geschätzter Pädagoge auf den erhofften Ruhm als Komponist lange warten sollte. Gegenüber den neuen Strömungen der Musikentwicklung zeigte sich Janáček resistent. Besondere Bedeutung für die sehr persönliche Prägung seiner Musik hatten innere Beweggründe: um 1900 etwa der Tod seiner beiden Kinder, ab 1917 bis zu seinem Tod 1928 dann die emotionale Bindung an die 38 Jahre jüngere Kamila Stösslová, deren unbewussten Impulsen letztlich die meisten seiner in rascher Folge entstandenen Meisterwerke der späten Jahre zu verdanken sind.

DAS WERK

»Nicht weil er seinen eigenen Sohn erschlug, um ihn für den Verrat an seinem Volk zu strafen; nicht wegen des Märtyrertodes seines zweiten Sohnes; sondern darum, weil sich auf der ganzen Welt keine Feuerflammen, keine Folterqualen finden, die imstande wären, die Kraft des russischen Volkes zu vernichten – um dieser Worte willen, die in die sengenden Funken und Flammen des Scheiterhaufens fallen, auf dem der ruhmreiche Kosakenhauptmann Taras Bulba den Tod erlitt, habe ich diese Rhapsodie nach der von N.W. Gogol verfassten Sage komponiert.«

Janáčeks kämpferische Worte, aus denen eine schwärmerische, gänzlich unkritische Russlandbegeisterung spricht, müssen als Aspekt seines tschechischen Nationalbewusstseins verstanden werden, der für ihn einen mächtigen Schaffensimpuls bedeutete: Wie viele seiner Landsleute sah Janáček in den Russen die künftigen Befreier von habsburgischer Unterjochung und deutscher Bevormundung. Voreilig erwartete er zu Beginn des Ersten Weltkriegs den russischen Einmarsch in Mähren. 1915, als diese Illusion zerbrach, wählte er in einer für ihn charakteristischen Trotzhandlung Gogols Novelle »Taras Bulba« als Stoff für eine Tondichtung: Die Episoden aus den Unabhängigkeits- und Glaubenskämpfen der ukrainischen Kosaken gegen die Polen im frühen 17. Jahrhundert erschienen ihm als leuchtendes historisches Vorbild und Ermutigung für die Gegenwart. Mit rhapsodischer Freiheit und der Großzügigkeit einer neuzeitlichen Freske beschwor Janáček dabei in seinem »Taras Bulba« den Inhalt und Geist der Gogol-Novelle, ohne sich allzu sehr mit programmatischer Kleinmalerei zu belasten.

Im ersten Satz werden wir mit dem Tod Andrijs konfrontiert. Der Sohn des Kosakenhauptmanns Taras Bulba ist aus Liebe zur Tochter des polnischen gegnerischen Heerführers vor der Schlacht bei Dubno zum Feind übergelaufen. Taras, der ihm das Leben gab, tötet ihn nun mit eigener Hand. Verrat kann er nicht dulden. Die kantable Süße erotischer Verführung und Hingabe findet in den harten Tönen der Verurteilung durch den Vater und dessen Abwendung in wildem Ritt durch die Steppe der Ukraine ihr Ende. Im zweiten Satz, Ostaps Tod, hören wir die Klagen des zweiten Sohnes nach dessen Gefangennahme. Das wilde Treiben polnischer Soldaten und Ostaps hingebungsvolle Erinnerung an Heim und Familie geraten an- und ineinander. Vor seiner Hinrichtung durch die Feinde ruft Ostap in seiner Verzweiflung den Vater. Und dieser antwortet unverhofft für alle aus der Menge, um dann spurlos zu verschwinden. Der dritte Satz, Prophezeiung und Tod Taras Bulbas, gelangt im Posaunen getragenen Schluss zu einem eindrucksvollen Höhepunkt, den nur noch die mit Orgelklängen ausgestattete musikalische Apotheose übertrifft. Sie überhöht noch die stolze Prophezeiung Taras, der im Feuer des Scheiterhaufens seinem Volk eine ruhmvolle Zukunft voraussagt.

Die Urfassung von »Taras Bulba« hatte Janáček bereits im Sommer 1915 fertig gestellt. Da jedoch im Krieg an eine Aufführung nicht zu denken war, blieb die Partitur zunächst in der Schublade liegen – erst 1918 vollendete Janáček die definitive Version. Die Uraufführung des Werkes fand dann im Oktober 1921 in Brünn statt. Allerdings blieben Aufführungen danach zunächst eher selten. So lernte etwa die Stadt Prag das Werk erst drei Jahre später kennen. Doch der Erfolg des grandiosen Orchesterwerks, das in seiner spannungsgeladenen Gestalt unmittelbar anspricht, war letztlich unaufhaltsam: Alle bedeutenden tschechischen Dirigenten, von Karel Ancerl über Rafael Kubelik und Václav Neumann bis zu Václav Talich, haben es in der Folge dirigiert, und durch sie begann der allmähliche Triumphzug des »Taras Bulba« im allgemeinen Konzertleben.

Andreas Maul

Manuel de Falla (1876–1946)
Nächte in spanischen Gärten (1909–15)

DER KOMPONIST

Manuel de Falla, geboren 1876 im spanischen Cádiz und 1946 in Alta Gracia (Argentinien) gestorben, gilt als der bedeutendste spanische Komponist seit der Renaissance. Er vollendete die Bestrebungen nach einem eigenständigen hispanischen Nationalstil auf europäischem Niveau, die vom Komponisten und Musikwissenschaftler Felipe Pedrell initiiert und von Enrique Granados und Isaac Albéniz begonnen worden war. De Falla studierte intensiv die spanische Kunstmusik vergangener Jahrhunderte wie auch die diversen volksmusikalischen Stile seiner Heimat. Diese souverän gehandhabten Kenntnisse sowie die während eines mehrjährigen Paris-Aufenthalts gesammelten vielfältigen musikalischen Eindrücke ermöglichten es ihm, zu einem im besten Sinne »populären« Personalstil zu gelangen. Dessen Kennzeichen sind neben der Verwendung heimatlicher Klänge in all ihren Facetten eine farbige Instrumentierung, eine leichte Fasslichkeit und die elementare Kraft einer betont tänzerischen Rhythmik. Um 1920 trat de Fallas Schaffen in eine neue Phase ein, die unter dem Einfluss des Neoklassizismus zu einem sich abstrakter äußernden Nationalton und einer herberen Klanglichkeit führte.

Wichtiger als sein 1899 mit Auszeichnung abgeschlossenes Klavierstudium am Madrider Konservatorium erwies sich für de Fallas weiteren Weg der umfassende private Kompositionsunterricht bei Felipe Pedrell (1902–04). Die ernüchternden Verhältnisse im spanischen Musikleben führten 1907 zu de Fallas Übersiedlung nach Paris, wo er mit vielen der bedeutendsten Künstler der Zeit Bekanntschaft schloss. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs kehrte de Falla nach Madrid zurück, um dort mit seinen ersten reifen Werken große Erfolge zu feiern. 1920 siedelte er nach Granada um, wo zunehmende gesundheitliche Probleme den ohnehin bedächtig-selbstkritisch arbeitenden Komponisten immer weniger Werke vollenden ließen. Die Einladung zu einer Konzertreise nach Argentinien bot ihm 1939 schließlich den willkommenen Anlass, Francos Spanien für immer den Rücken zu kehren.

DAS WERK

Angeregt durch den Musikhistoriker und Komponisten Felipe Pedrell, bei dem er zu Beginn des 20. Jahrhunderts drei Jahre lang privat studierte, sowie durch die ersten vielversprechenden Versuche der beiden älteren Pedrell-Schüler Isaac Albéniz und Enrique Granados auf diesem Gebiet, setzte sich der junge spanische Komponist Manuel de Falla ein ambitioniertes Ziel: Er wollte eine moderne, spezifisch spanische Kunstmusik erschaffen und damit zugleich sein Land von dessen jahrhundertelangem Status als bedeutungslose Randzone auf der Landkarte der abendländischen Musik befreien. Denn während die Spanier in der Neuzeit auf vielen Gebieten der Kunst und der Wissenschaft Bedeutendes geleistet und ein Weltreich errichtet hatten, war der letzte spanische Komponist von europäischem Rang, Tomás Luis de Victoria, zu Beginn von de Fallas Karriere bereits seit fast 300 Jahren tot.

De Falla war sich aber dessen bewusst, dass er es sich nicht zu leicht machen durfte, um zu wirklich überzeugenden künstlerischen Ergebnissen zu gelangen. Er hatte sich schnell von der naheliegenden und relativ einfach zu bewerkstelligenden Idee verabschiedet, eine Art »Postkarten-Folklorismus« zu betreiben – etwa durch die massenhafte Produktion virtuoser Salonstücke über andalusische Melodien im Stile der Nationalromantik des 19. Jahrhunderts. Stattdessen interessierte er sich ernsthaft für das vielfältige Volksmusik-Erbe seiner Heimat mit dessen teils archaisch-orientalischen Wurzeln, studierte es eingehend und vollbrachte dabei etwas, was nur großen Künstlerpersönlichkeiten vorbehalten ist: Die Essenz dieser Tradition zu abstrahieren, um sie organisch in seine eigene Tonsprache zu integrieren – und dies auf Augenhöhe mit den führenden Komponisten seiner Zeit.

Entscheidende Impulse für seine weitere kreative Entwicklung erhielt de Falla ab 1907 während seines mehrjährigen Paris-Aufenthalts, als er nicht nur die aktuelle französische Musik direkt an der Quelle kennenlernen konnte, sondern auch mit deren Hauptprotagonisten in teilweise engen persönlichen Kontakt trat: Debussy, Ravel, Dukas, Satie oder Florent Schmitt gehörten genauso zu de Fallas Freundes- und Bekanntenkreis wie die damals ebenfalls in Paris lebenden Igor Strawinsky, Sergej Diaghilew oder de Fallas Landsleute Isaac Albéniz und Ricardo Viñes – jener bedeutende katalanische Pianist, der zahlreiche Klavierwerke der französischen Moderne u.a. von Debussy und Ravel aus der Taufe hob.

So war es denn auch Viñes, für den der äußerst bedächtig und akribisch arbeitende de Falla 1909 mit der Komposition mehrerer Nocturnes für Klavier solo begann, bezogen auf spanische Orte und mit ihnen verbundene Genre-Bilder. De Falla, zu jener Zeit fernab von seinem Geburtsland, bezog seine unmittelbare Inspiration dafür aus mehreren Quellen, darunter aus Gedichten von Paul Drouot und Rubén Darío, dem Buch »Granada (Guía emocional)« von María Martínez Sierra sowie dem Kupferstich-Zyklus »Gärten Spaniens« von Santiago Rusiñol. Schließlich beschränkte de Falla die Anzahl seiner iberischen Nachtbilder auf drei Stücke: Im Generalife (dem Sommerpalast und Landsitz der Sultane von Granada unweit der berühmten Alhambra), Ferner Tanz sowie In den Gärten des Berglandes von Córdoba.

Doch bevor de Falla die langwierige Arbeit an seinem Werk nach der Rückkehr in die Heimat 1914 abschloss, hatte er – dem Ratschlag des späteren Widmungsträgers Ricardo Viñes’ folgend – seine letztlich »Noches en los jardines de España« (Nächte in Spaniens Gärten) betitelte Komposition zu einem Orchesterwerk mit solistisch hervortretender Klavierstimme umgearbeitet. Es handelt sich dabei aber weder unter formalen Gesichtspunkten um ein Konzert im traditionellen Sinne noch in Bezug auf das Verhältnis zwischen »Solist« und Orchester, trotz des wirkungsvollen und technisch anspruchsvollen Klavierparts.

Die »Noches« sind sicherlich das am deutlichsten vom Impressionismus beeinflusste Werk de Fallas, der sich schon wenige Jahre später eine neoklassizistische, herbere Tonsprache zu eigen machen sollte. Der Komponist äußerte sich selbst im Programmheft der Madrider Uraufführung im April 1916 zu seinem Stück und betonte dabei einige zentrale Aspekte seiner reizvoll gestalteten musikalischen Naturbilder:

»Thematische Grundlage dieses Werkes sind (wie bei den meisten anderen Werken des Komponisten …) die Rhythmen, die Modi, die Kadenzformeln und die Verzierungsformeln, die charakteristisch für den andalusischen Volksgesang sind, welcher aber sehr selten in seiner ursprünglichen Gestalt verwendet wird. Auch die instrumentale Behandlung stilisiert häufig Effekte, die den Instrumenten der Volksmusik eigentümlich sind. Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Nocturnes keine Programmmusik sind, sie wollen lediglich expressive Musik sein, und dass die Klangmalerei auf tiefere Empfindungen zurückgeht als bloßes Tanz- und Festgetümmel; auch Schmerz und Geheimnis fließen ein.«

2. Suite aus »Der Dreispitz«

DAS WERK

Schon kurz nachdem Manuel de Falla beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 nach einem siebenjährigen Paris-Aufenthalt nach Madrid zurückkehrte, begann eine intensive Freundschaft und eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem Komponisten und dem Ehepaar Martínez Sierra. Diese gründeten um jene Zeit das Teatro de Arte, wo sie innovative dramaturgische und szenische Konzepte verwirklichten. Fast jedes der zehn Werke de Fallas aus der Zeit zwischen 1914 und 1920 entstand aus dieser künstlerischen Kollaboration, darunter auch die Ballettpantomime »El amor brujo« (Der Liebeszauber) und die »pantomimische Farce« »El Corregidor y la molinera« (Der Corregidor und die Müllerin).

Letztere hat Gregori Martínez Sierras Bühnen-Adaption einer bekannten spanischen Novelle zur Grundlage: Pedro Antonio de Alarcóns »El sombrero de tres picos« (Der Dreispitz, 1874), auf dem auch schon Hugo Wolfs Oper »Der Corregidor« (1896) basierte. Die turbulente komödiantische Erzählung spielt in einem andalusischen Dorf zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Es geht darin um die letztlich vergeblichen Bemühungen eines Corregidors (eines örtlichen Beamten, der mit der Rechtspflege betraut ist), die schöne, junge, kapriziöse Ehefrau eines eifersüchtigen Müllers zu verführen. Nach einigen Verwicklungen steht am Ende der alternde, aufgeblasene Amtmann, zu dessen Uniform der titelgebende Dreispitz gehört, als der gefoppte und belächelte Verlierer der Geschichte dar.

De Fallas Musik zu »El Corregidor y la molinera« war gerade erst zur Hälfte fertiggestellt, als er Ausschnitte daraus im Salon der Martinez Sierras am Klavier vorspielte. Unter den Zuhörern befand sich der berühmte Impresario Sergej Diaghilew, dessen nicht minder berühmten »Ballets Russes« sich während des Ersten Weltkriegs auf Einladung König Alfonsos XIII. längere Zeit in Spanien aufhielten. Ohnehin auf der Suche nach einem spanischen Sujet für ein neues Ballettprojekt, war er sich sicher, in de Falla (den er bereits aus Paris kannte) den richtigen Mann gefunden zu haben. Noch bevor der Komponist die Arbeit an »El Corregidor« abschloss, war der Plan zu einer Umgestaltung des Werkes zu einem Ballett für Diaghilew beschlossen.

Nach zweijähriger Umarbeitungszeit fand die Uraufführung dieser Fassung als »El sombrero de tres picos« im Juli 1919 in London statt. Sie gestaltete sich als ein seltenes Zusammenwirken herausragender Künstler: Neben de Falla und Diaghilew trugen Ernest Ansermet als Dirigent, Léonide Massine als Choreograph und Tänzer sowie Pablo Picasso als der Verantwortliche für Kostüme und Bühnenbild zum triumphalen Erfolg bei, der für den inzwischen 42-jährigen de Falla zugleich den internationalen Durchbruch bedeutete.

Was dieses Werk de Fallas von fast allen vorangegangenen unterscheidet, ist die Tatsache, dass er hier nicht mehr nur auf die Melodien, Tänze und Klänge seiner näheren Heimat Andalusien zurückgreift, sondern bewusst die musikalische Tradition ganz Spaniens – etwa die Seguidilla, die Jota oder die Farruca – als Grundlage für seine kunstvolle Verschmelzung von Volks- und Kunstmusik nimmt.

Die aus zwei Szenen bestehende Ballettmusik zu El sombrero de tres picos nahm de Falla schon bald nach der erfolgreichen Premiere des Bühnenwerkes zur Grundlage für zwei Orchestersuiten, wobei jede der beiden Suiten Musik aus je einem der zwei Akte beinhaltet. Die heute Abend erklingende 2. Suite umfasst im Wesentlichen also die drei großen Tanzszenen aus der zweiten Hälfte des Balletts: Die Nachbarn feiern an der Mühle das Johannisfest und tanzen eine Seguidilla, bevor der Müller eine solistische, wild gestampfte Farruca – das populärste Stück der gesamten »Dreispitz«-Musik – aufführt. Mit augenzwinkerndem Humor zitiert de Falla hier die ersten Takte von Beethovens 5. Sinfonie, als die Gendarmen an der Tür der Mühle klopfen, um im Auftrag des Corregidors den Müller festzunehmen: »So pocht das Schicksal an die Pforte!« Die immer rasantere und sich zum Schluss zuspitzende Handlung wird in der Musik des Finales reflektiert, einer rasanten Jota, in die de Falla nochmal zahlreiche Motive der vorangegangenen Episoden einwebt und an deren Schluss die Dorfbewohner den bloßgestellten Corregidor verhöhnen, indem sie ihn in einer straffgezogenen Decke wie eine Stoffpuppe in die Luft schleudern.

Adam Gellen

Quelle: hr-Sinfonieorchester