Junges Konzert – 01.03.2017 Militär-Sinfonie
Claudio Monteverdi: Il combattimento di Tancredi e Clorinda | G. Fr. Händel: Ausschnitte aus »Rinaldo« | Gioachino Rossini: Ausschnitte aus »Tancredi« | Joseph Haydn: »Militär-Sinfonie«
In der Musik, und nur dort, haben Kriege ihren Reiz – denn wo viel Lärm und Schrecken, da auch viel Emotion. Was zum Beispiel wären Opern ohne ritterliche Helden?
Und schon Claudio Monteverdi hat in seinem »Il combattimento« eine martialische Duellszene geschildert, in der sich mit Tancredi und Clorinda ein Liebespaar im Zweikampf gegenüber steht, durch die Rüstung die eine für den anderen nicht erkennbar. Besonders wirkungsvoll ist Kriegslärm dort, wo er völlig überraschend kommt. Wie etwa bei Haydns »Militär-Sinfonie«: Sicher, man sieht im Orchester die Große Trommel und ihre Artgenossen von der schlagenden Zunft die ganze Zeit. Doch trotzdem ist es ein Schock, wenn dann das Militär mit brutaler metallischer Klangkraft in eine liebliche Romanze hineinplatzt. Haydns Sinfonie ist eigentlich keine »Militär-Sinfonie«, sondern eine Anklage-Sinfonie: Gegen die Schlagkraft des Krieges, die alles Fragile und Schöne zerstört.
Claudio Monteverdi (1567-1643)
Il combattimento di Tancredi e Clorinda (1624)
DER KOMPONIST
Claudio Monteverdi, geboren 1567 in Cremona und 1643 in Venedig gestorben, war eine der bedeutendsten Künstlerpersönlichkeiten seiner Zeit: des Übergangs von der Welt der Renaissance in die Epoche des Barock und damit einer Zeit tiefgreifender stilistisch-ästhetischer Umbrüche (nicht nur) in der Musik. Monteverdi gestaltete diese Umwälzungen aktiv mit und trieb eine ganze Reihe von Innovationen entscheidend voran, die den künftigen Gang der Musikgeschichte prägen sollten. So ist sein Name aufs Engste verbunden mit der Herausbildung des akkordbegleiteten Sologesangs in der Kunstmusik und damit einhergehend mit der Etablierung des Rezitativs und zugleich dessen deutlicher Abgrenzung von ariosen Strukturen, mit der Entstehung der Oper (dessen erste Höhepunkte er mit »L’Orfeo«, »Il ritorno d’Ulisse in patria« und »L’incoronazione di Poppea« gleich auch schuf) und der allmählichen Festigung der Dur-Moll-Tonalität anstelle der bis dahin vorherrschenden modalen Harmonik. Er sah sich selbst freilich nicht als einen Revolutionär, führte er doch zugleich etwa die Vokalpolyphonie des 16. Jahrhunderts und mit ihr die große italienische Madrigalkunst der Renaissance zu einer letzten Blüte. Dank seiner literarischen, theatralischen und psychologischen Einfühlungsgabe vermochte er dabei unterschiedlichsten Textvorlagen und szenischen Situationen musikalisch gerecht zu werden.
Monteverdis Karriere konzentrierte sich dabei auf zwei – freilich sehr unterschiedliche – Positionen: Ab 1590/91 war er am Hofe der Gonzagas in Mantua angestellt, zunächst als einfacher Instrumentalist, doch bald schon stieg er in der Hierarchie auf und wurde 1603 zum Hofkapellmeister ernannt. Nach dem Tod Herzog Vincenzos I. 1612 wurde der ohnehin unzufriedene und längst nach Alternativen Ausschau haltende Monteverdi entlassen. Ein Jahr später wurde er allerdings auf den prestigeträchtigen Posten des Domkapellmeisters an San Marco in Venedig berufen, wo er über drei Jahrzehnte lang wirkte und schließlich im hohen Alter von 76 Jahren als ein weit über Italien hinaus bekannter und geachteter Künstler starb.
DAS WERK
Claudio Monteverdi gilt seit jeher – und nicht zu Unrecht – als einer der bedeutendsten Neuerer in der Geschichte der abendländischen Musik. Ihm selbst lag an einem solchen »revolutionären« Image allerdings nicht allzu viel. Er suchte zwar einerseits sein Leben lang bewusst nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen, nach der möglichst glaubwürdigen und wirkungsvollen Darstellung menschlicher Affekte in der Musik; andererseits achtete er aber die von seinen illustren Vorgängern geprägte Tradition hoch und strebte danach, sich dieser in seinen Kompositionen als mindestens ebenbürtig zu erweisen. Nur war er eben bereit, wenn er dies für die Umsetzung eines ihm vorschwebenden Zieles für notwendig hielt, althergebrachte Regeln zu brechen und die Grenzen der stilistisch-geschmacklichen Konventionen seiner Zeit zu übertreten.
An den acht Madrigal-Sammlungen, die Monteverdi zwischen 1587 und 1638 drucken ließ, lässt sich besonders anschaulich die (allen voran von ihm selbst vorangetriebene) Entwicklung der italienischen Madrigalkunst von ihrer »klassischen Periode« bis zu ihrer letzten Blüte im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts verfolgen. Zu dieser Entwicklung gehört ganz wesentlich die Tatsache, dass der Begriff des »Madrigals« als eines weltlichen Gesangsstücks in kunstvoller Mehrstimmigkeit bis zum Ende von Monteverdis Schaffenszeit durch die zunehmende Verwischung von Gattungsgrenzen immer mehr ausgehöhlt wurde; zuletzt bezeichnete er nur noch ganz allgemein die weltliche Vokalmusik – ob mit oder ohne Instrumente, als Solo, Duett oder Ensemblegesang. So sind in Monteverdis letzten beiden Sammlungen von 1619 und 1638 keine traditionellen polyphonen Madrigale ohne Instrumentalbegleitung mehr enthalten.
Charakteristisch für Monteverdis Madrigalkunst über all die Jahrzehnte seines Schaffens hinweg ist sein spezifisches Interesse an dramatischer Darstellung mit musikalischen Mitteln. Eine besonders geeignete textliche Quelle für solche Werke von gesteigertem Affektausdruck fand der Komponist (neben Battista Guarinis 1590 veröffentlichtem Pastoraldrama »Il pastor fido«) im berühmten Kreuzritter-Epos »La Gerusalemme liberata« (Das befreite Jerusalem) von Torquato Tasso. Dieses mit 20 Gesängen zu durchschnittlich 100 achtzeiligen Strophen äußerst umfangreiche Heldengedicht der italienischen Spätrenaissance mit seinen zahlreichen dramatischen Monologen inspirierte Monteverdi bereits seit dessen 3. Madrigalbuch (1592) mehrfach zu Vertonungen.
Am bekanntesten von diesen sollte eine Komposition werden, die auf einer Szene aus dem XII. Gesang von Tassos Versroman basiert und daraus 16 Strophen musikalisch umsetzt: Il combattimento di Tancredi e Clorinda (Der Kampf zwischen Tancredi und Clorinda), von Monteverdi im Vorwort zu seinem 8. Madrigalbuch (1638) als eines von zwei darin abgedruckten »opuscoli in genere rappresentativo« (kleinen Stücken von darstellendem Charakter) bezeichnet. Darin geht es vor dem Hintergrund des Ersten Kreuzzugs zur Eroberung Jerusalems (1096–99) um die Geschichte des Kreuzritters Tancredi, der sich in die heldenhaft bei der Verteidigung der Heiligen Stadt kämpfende Mohammedanerin Clorinda verliebt. Als Clorinda eines Nachts den Belagerungsturm der christlichen Angreifer in Brand setzt und anschließend in voller Rüstung in die Stadt zurückeilt, wird sie von Tancredi gestellt und unerkannterweise zu einem Zweikampf auf Leben und Tod herausgefordert. Das wilde Gemenge endet mit der tödlichen Verwundung Clorindas, die sterbend ihren Widersacher um die Taufe bittet. Als Tancredi diesen letzten Wunsch erfüllend den Helm seines Gegners abnimmt, wird ihm erst die ganze persönliche Tragik der Geschehnisse bewusst. Clorinda stirbt jedoch beseelt mit den Worten »Der Himmel öffnet sich, ich gehe in Frieden.«
Der bereits lange vor der Drucklegung, bei einer abendlichen Karnevalsveranstaltung des »beinahe zu Tränen gerührten« venezianischen Adels im Jahre 1624 uraufgeführte Combattimento stellt eines der zahlreichen Experimente Monteverdis mit neuen musikalischen Formen und Ausdrucksmitteln (etwa der intendierten pantomimischen Darstellung der vom Erzähler vorgetragenen Geschichte) dar. Das singuläre, geradezu avantgardistische Werk blieb zwar in dieser Gestalt ohne direkte Nachahmer, doch nicht ohne musikhistorische Nachwirkung: Allein schon die Instrumentalbegleitung durch ein vierstimmiges Streicherensemble mit Generalbass-Begleitung erwies sich als eine zukunftsweisende Idee.
Ungewöhnlich ausführlich und detailliert erklärt Monteverdi in seinem 8. Madrigalbuch, wie er zur musikalischen Darstellung kriegerischer Affekte das contitato genere, den »erregten Stil«, entwickelte und bei der opernhaften Drei-Personen-Szene des Combattimento erstmals in der Praxis erprobte. Neben Effekten wie dem hier erstmals überhaupt als Aufführungsvorschrift auftauchenden Pizzicato (dem Zupfen der Saiten mit dem Finger) für die Veranschaulichung von Schwerthieben, der rhythmischen Nachahmung galoppierender Pferde oder Dreiklangsfiguren, die Trompetenrufe evozieren, setzte Monteverdi den »erregten«, kriegerischen Gemütszustand seiner Protagonisten in erster Linie durch die Aufteilung einer ganzen Note auf eine Folge von 16 schnell hintereinander repetierten Sechzehnteln in Form eines (G-Dur-)Dreiklangs musikalisch um.
Georg Friedrich Händel (1685–1759)
Ausschnitte aus der Oper »Rinaldo« HWV 7 (1711)
DER KOMPONIST
Georg Friedrich Händel, 1685 in Halle an der Saale geboren und 1759 in London gestorben, ist neben Johann Sebastian Bach zweifellos der wichtigste Repräsentant des musikalischen Barock. Im gleichen Jahr geboren wie Bach, war Händel im Gegensatz zu seinem in protestantischer Zurückgezogenheit und auf den sächsisch-thüringischen Raum begrenzt wirkenden Kollegen nicht nur von seinem Lebensweg her ein »Weltbürger«. Auch seine strahlend-brillante Musik atmet »europäischen Geist«. Händel gelang in ihr eine geniale Verbindung deutscher, italienischer, französischer und englischer Traditionen, und so gewann seine synthetisierende, gleichwohl eigenständige Tonsprache auch für die nachfolgenden Komponistengenerationen Europas eine Vorbildfunktion.
Bereits in jungen Jahren sammelte Händel nach einem dreijährigen Aufenthalt in Hamburg wichtige Erfahrungen in Italien, wo er ab 1706 die Musik Arcangelo Corellis sowie Alessandro und Domenico Scarlattis studierte. Er hielt sich in Rom, Florenz, Venedig und Neapel auf, machte sich einen Namen als Orgelvirtuose und schrieb zahlreiche Kantaten und Oratorien, deren Material er teilweise in seinen späteren Opern verarbeiten sollte. 1710 berief man Händel als Hofkapellmeister nach Hannover; noch im selben Jahr jedoch unternahm er auch seine erste Reise nach London, wo er sich 1712 schließlich endgültig niederließ.
Händel wurde im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts zum bedeutendsten Komponisten der italienischen Opera seria. Den nachfolgenden Generationen allerdings galt er mehr und mehr als ein genialer Oratorien- und Instrumentalkomponist. Erst die Händel-Renaissance der 1920er Jahre brachte eine Wiederbelebung seines über 40 Werke umfassenden Opernschaffens, so dass die Fülle seiner musikalischen Ideen und Neuerungen auch auf diesem Gebiet neu entdeckt werden konnte.
DAS WERK
Händels Musik genoss zwar eine derart kontinuierliche und positive posthume Rezeption, wie das bei keinem seiner Zeitgenossen oder Vorgänger der Fall war; wirklich bekannt und beliebt war er jedoch lange Zeit fast ausschließlich als Komponist von Oratorien und Orchesterwerken. Dass er zugleich auch der bedeutendste Komponist italienischer Opern in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war, gelangte erst allmählich ins Bewusstsein der musikalischen Öffentlichkeit, als in den 1920er Jahren die erste Welle der allmählichen Wiederentdeckung von Händels Opernschaffen einsetzte. Immerhin vollendete der Komponist nicht weniger als 42 Opern zwischen 1704 und 1741.
»Rinaldo« war dabei zwar nicht Händels erste Oper, aber die erste, die er in und für London geschrieben hat – zugleich die erste italienische Oper überhaupt, die dort für einen spezifischen lokalen Aufführungsanlass entstand: Anfang 1711 im Auftrag des 25-jährigen Theaterimpresarios Aaron Hill für das Queen's Theatre am Haymarket. Der gleichaltrige Händel hatte sich zuvor mehrere Jahre lang in Italien aufgehalten und dort bereits große Erfolge mit Oratorien und Opern errungen. Kurz nach seiner Ankunft in London im Herbst 1710 war der Kompositionsauftrag für »Rinaldo« für ihn nun eine hervorragende Gelegenheit, sich in der britischen Hauptstadt mit einem Schlag als Komponist italienischer Opern einen Namen zu machen. Diese kamen dort eben erst in Mode, nachdem sich die Engländer jahrzehntelang von masques und semi-operas – jenem spezifisch heimatlichen Genre von musikalischen Schauspielen mit reichlich Bühnenspektakel – unterhalten ließen.
Diese Tradition lebt auch noch in »Rinaldo« weiter. Die Beteiligten scheuten keine Mühen und Kosten, um mit aufwändigen Bühneneffekten den Erwartungen des Londoner Publikums zu entsprechen: Von feuerspeienden Drachen und Flugmaschinen über einstürzende Szenenbilder und Verwandlungen von Personen bis hin zum Einsatz lebender Vögel wurde den Zuschauern einiges geboten. Der Erfolg blieb mit allein 15 Aufführungen in der ersten Saison und zahlreichen Wiederaufnahmen in den folgenden 20 Jahren auch nicht aus.
Die Handlung von »Rinaldo« orientiert sich an demjenigen Strang von Torquato Tassos Epos »La Gerusalemme liberata«, der von der Betörung des Kreuzritters Rinaldo durch Armida, die mit Zauberkräften begabte Königstochter von Damaskus, Rinaldos Befreiung aus ihrem Einflussbereich und der anschließenden Eroberung Jerusalems im Rahmen des Ersten Kreuzzuges im Jahre 1099 handelt. Während Armida in Tassos Epos jedoch nach ihrer Taufe Rinaldo heiratet, führt Händels Librettist Giacomo Rossi mit Almirena eine zusätzliche Figur ein. Sie ist die Tochter Goffredos (Gottfried von Bouillons), des Anführers des Ersten Kreuzzugs. Sie und Rinaldo lieben sich, und Goffredo hat sein Versprechen gegeben, dass er Almirena nach der geglückten Eroberung Jerusalems durch die christliche Armee mit Rinaldo vermählen wird. Das Libretto weicht hierin nicht nur von Tasso, sondern auch von sämtlichen der zahlreichen vorherigen Bearbeitungen des Stoffs grundlegend ab.
Nachdem Armida Almerina in ihr Zauberschloss entführt hat, gibt sich Rinaldo zunächst seiner Verzweiflung hin; nachdem er jedoch den Hinweis erhält, ein christlicher Zauberer könnte ihm helfen, Armidas Macht zu brechen und Almerina zurückzuerobern, fasst er wieder Mut. Diesen Ausdruck des kämpferischen Selbstbewusstseins transportiert Rinaldos Bravour-Arie Venti, turbini, mit der Händel den ersten Akt von »Rinaldo« beschließt.
Zu den berühmtesten Barock-Arien überhaupt gehört Almerinas Lamento Lascia ch’io pianga aus dem zweiten Akt der Oper, in dem sie – von Armida gefangen genommen, von ihrem geliebten Rinaldo getrennt (bevor dieser wenig später ebenfalls von Armida entführt wird) und bedrängt von dem eigentlich mit Armida liierten Sarazenenkönig Argante – ihr bitteres Schicksal beklagt. Die schlichte, gleichwohl berückende Melodie übernahm Händel – dies war eine zeitübliche Praxis – aus einer Arie seines in Rom komponierten Oratoriums »Il trionfo del tempo e del disinganno« von 1707. Doch die Musik war eigentlich noch älter: Sie entstand ursprünglich als eine instrumentale Sarabande für Händels erste Oper »Almira« (1704) – jene Originalfassung war übrigens beim Jungen Konzert im vergangenen November unter der Leitung von Maurice Steger zu hören.
Giaochino Rossini (1792–1868)
Ausschnitte aus der Oper »Tancredi« (1813)
DER KOMPONIST
Gioachino Rossini, 1792 in Pesaro geboren und 1868 in Paris gestorben, war einer der wichtigsten Repräsentanten der Oper zwischen Mozart und Verdi und gilt als Großmeister der komischen Oper. Mit seinen 39 Bühnenwerken – Opere buffe ebenso wie Opere serie und Opere semiserie – trug Rossini entscheidend zur Erneuerung des italienischen Musiktheaters bei. Sein dynamischer Stil und seine rhythmische Inspiration ließen ein neues Theater entstehen, das nicht mehr nur die Bildungseliten, sondern auch breitere Massen ansprach. Lange wurde Rossinis Bild von der Nachwelt dabei auf den stets zu Scherzen aufgelegten Musikanten reduziert. Von seinen Zeitgenossen jedoch zu Lebzeiten als ernstzunehmender Antipode Beethovens gehandelt, begann Mitte des 20. Jahrhunderts allmählich eine Neubewertung seines letztlich durch die deutsche Spätromantik in Misskredit geratenen Schaffens.
Mit 14 Jahren war der junge Rossini ans Konservatorium nach Bologna gekommen, wo er Komposition, Cello, Horn, Klavier und Gesang studierte. Vier Jahre später hatte er bereits seine erste Oper komponiert, doch erst 1813 entstand mit »Tancredi« sein erstes Erfolgswerk. 1815 wurde Rossini Musikdirektor der beiden Opernhäuser in Neapel. Dort lernte er auch die Sängerin Isabella Colbran kennen, mit der er 1823–1836 verheiratet war. Nach mehrmonatiger Tätigkeit am King's Theatre in London übernahm Rossini 1824 den Posten des Leiters der Italienischen Oper in Paris und wurde zwei Jahre später Königlicher Hofkomponist und Generalinspekteur des Gesangs in Frankreich. Mit »Wilhelm Tell« schrieb Rossini 1829 – kaum 37 Jahre alt – seine letzte Oper. Gleichwohl weiter als Komponist tätig, widmete er sich fortan vornehmlich der geistlichen und der Kammermusik. 1836–1848 war Rossini dabei in Bologna als Direktor des Musiklyzeums tätig. 1846 heiratete er seine zweite Frau, die Französin Olympe Pélissier, und zog 1855 erneut nach Paris, wo er auch den Rest seines Lebens verbrachte.
DAS WERK
Gioachino Rossini komponierte zwischen 1808 und 1829 über drei Dutzend Opern, deren ungebrochen faszinierende Wirkung auf der unwiderstehlichen Sinnlichkeit der Musik, ihrem schier unendlichen Melodienreichtum und der Sogkraft ihrer federnden Rhythmik beruht. Doch auch im Konzertsaal haben etliche von Rossinis effektvoll-zündenden Opern-Ouvertüren als wahre Publikumslieblinge ihren festen Platz. Sie sind oft nach einem bestimmten Bauplan komponiert, bei dem der konkrete Inhalt der Oper musikalisch keine wichtige Rolle spielt: Auf eine langsame, mit Spannung aufgeladene Einleitung folgt ein schneller Teil mit zwei kontrastierenden Themen. Die großartigen Finalwirkungen am Ende vieler Ouvertüren verdanken sich dabei Rossinis meisterlicher Handhabung des auf Effekt berechneten Orchester-Crescendos unter stetiger Wiederholung kurzer Motive.
Die relative Austauschbarkeit von Rossinis Ouvertüren wird auch im Falle der Sinfonia zur 1813 in Venedig uraufgeführten Oper »Tancredi« mehr als deutlich: Vermutlich aus Zeitnot übernahm der Komponist hierfür kurzerhand das Eröffnungsstück aus seiner Opera buffa »La pietra del paragone«.
»Tancredi« stellte einen Meilenstein in Rossinis Karriere dar – nicht zuletzt auch deshalb, weil sie zum ersten internationalen Erfolgsstück des 21-jährigen Komponisten avancierte: Allein im Jahre 1822 kam es europaweit zu 22 Inszenierungen dieses auf Voltaires Tragödie »Tancrède« basierenden und im Sizilien des Jahres 1005 spielenden melodramma eroico. Der französische Dramatiker hatte sich bei der Wahl des Namens für seinen Titelhelden von Tassos »Gerusalemme liberata« inspirieren lassen.
Großen Anteil an der Popularität von »Tancredi« hatte die bis heute sehr beliebte Auftrittsszene des Titelhelden (den Rossini original als eine »Hosenrolle« für eine Mezzosopranistin konzipiert hatte): Im Rezitativ mit anschließender Kavatine Oh patria! / Di tanti palpiti gibt der aus der byzantinischen Verbannung soeben heimlich wieder in Syrakus eingetroffene Ritter Tancredi zunächst seinen Glücksgefühlen angesichts seiner Ankunft in der »undankbaren Heimat« Ausdruck, anschließend besingt er seine Vorfreude über das lang ersehnte Wiedersehen mit seiner geliebten Amenaide.
Adam Gellen
Joseph Haydn (1732-1809)
Sinfonie G-Dur Hob. I:100 (»Militär-Sinfonie«) (1794)
DER KOMPONIST
Joseph Haydn, 1732 im niederösterreichischen Rohrau geboren und 1809 in Wien gestorben, ist der Vater der klassischen Sinfonie und des Streichquartetts. Ohne ihn wäre die Musik Mozarts und Beethovens nicht vorstellbar, seine Werke bilden den Beginn und den ersten Höhepunkt der »Wiener Klassik«. Bei seinem Vetter hatte Haydn einstmals den ersten Musikunterricht erhalten, bevor er 1740 Chorknabe am Stephansdom in Wien wurde. Dort schlug er sich später nach dem Stimmbruch als Begleiter bei Gesangsstunden durch und erhielt in diesem Rahmen wahrscheinlich auch Kompositionsunterricht.
Nach zehn beschwerlichen »Lehrjahren« erhielt Haydn um 1759 seine erste feste Anstellung als Musikdirektor des Grafen Morzin in Lukavec bei Pilsen und schrieb dort die ersten seiner 104 erhaltenen Sinfonien. 1761 wechselte er schließlich in den Dienst des Fürsten Esterházy nach Eisenstadt im Burgenland, zunächst als Vizekapellmeister, ab 1766 als Kapellmeister. Als der Fürst 1769 seine Residenz und damit auch die rund 30 Musiker zählende Hofkapelle dauerhaft ins Schloss Eszterháza am Neusiedler See verlegte, brachen für Haydn zwei Jahrzehnte großer Abgeschiedenheit an, in denen er gänzlich ungestört seinen musikalischen »Experimenten« nachgehen konnte. Ausgestattet mit einer ansehnlichen Pension, ergab sich für den 59-Jährigen nach dem Tod des Fürsten 1790 die Gelegenheit, seiner langen Karriere nochmals eine neue Wendung als freischaffender Künstler zu geben. Haydn zog nach Wien und absolvierte Anfang der 1790er Jahre zwei ausgedehnte und sehr erfolgreiche Konzertreisen nach London. Ab 1794 kümmerte er sich zugleich um den Wiederaufbau der zuvor aufgelösten Esterházy’schen Hofkapelle und komponierte jährlich eine große Messe zum Namenstag der Fürstin. In den Jahren um 1800 entstanden daneben weitere bedeutende Werke wie die Oratorien »Die Schöpfung« und »Die Jahreszeiten«. Haydns Musik war zu dieser Zeit längst in ganz Europa bekannt, er selbst galt als berühmtester Komponist seiner Zeit.
DAS WERK
Alles andere als kämpferisch eröffnet Joseph Haydn seine Sinfonie G-Dur Hob. I:100. Dabei ließe ihr Beiname »Militär-Sinfonie« doch eben einen solchen Tonfall vermuten. Als Joseph Haydn 1794 zu seiner zweiten Reise nach London aufbricht, hat er bereits erste Teile seiner einhundertsten Sinfonie im Gepäck, jedoch ohne ihr einen Titel oder gar ein Programm gegeben zu haben. Wie bei einigen seiner Werke verdankt auch die Sinfonie in G-Dur ihren Namen der Fantasie ihrer Hörer. Bei einem Œuvre von insgesamt 106 Sinfonien erscheint eine solche kleine Hilfestellung zur Unterscheidung der vielen Werke jedoch auch mehr als verständlich.
Die »Militär-Sinfonie« entsteht als eine von zwölf Sinfonien, die dem Komponisten in der britischen Hauptstadt zu durchschlagendem Erfolg verhelfen. Seinen zweimaligen Aufenthalt auf der Insel und die dafür komponierten Sinfonien verdankt das Londoner Publikum einem umtriebigen Konzertunternehmer: Johann Peter Salomon, selbst talentierter wie erfolgreicher Geiger, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den berühmten Komponisten in die Metropole zu bringen. Salomon holt den 59-jährigen Haydn dabei auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens ab.
Beinahe drei Jahrzehnte hatte Joseph Haydn in der Abgeschiedenheit von Schloss Eszterháza mit einer fähigen Hofkapelle und dem ihm gewährten Freiraum eines großzügigen Fürsten Nikolaus Esterházy experimentieren können. Die Zeit in der österreichischen Provinz südlich von Wien wusste der Komponist rückblickend sehr zu schätzen:
»Mein Fürst war mit allen meinen Arbeiten zufrieden, ich erhielt Beyfall, ich konnte als Chef eines Orchesters Versuche machen, beobachten, was den Eindruck hervorbringt und was ihn schwächt, also verbessern, zusetzen, wegschneiden, wagen, ich war von der Welt abgesondert. Niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irre machen und quälen, und so musste ich original werden.«
Unter solch günstigen Voraussetzungen avanciert der österreichische Kapellmeister schnell zum gefragtesten Komponisten instrumentaler Musik. Mit seiner Idee von der Sinfonie als vierteiligem Gesamtwerk, den Verbindungen und Entwicklungen, die er innerhalb der einzelnen Sätze und darüber hinaus herstellt, wird er schließlich die Entwicklung eines ganzen Jahrhunderts prägen. Die Sinfonie wird durch Joseph Haydn zur vollwertigen Form und steht von nun an der Oper als der bis dato alles dominierenden Gattung gleichwertig gegenüber.
Wie kein zweiter Komponist versteht es Haydn, den Geschmack seiner Hörerschaft einzufangen und seine Werke »original« werden zu lassen. Mit oftmals nur geringen Mitteln erzielt er eine große Wirkung und noch größeren Erfolg – man denke nur an die »Sinfonie mit dem Paukenschlag« Hob. I:94 in G-Dur, die ebenfalls zu den Londoner Sinfonien zählt. Ebenso weiß der Komponist auch noch in seiner einhundertsten Sinfonie das Publikum zu überraschen. Dreh und Angelpunkt des Werks ist nicht etwa der erste, sondern der zweite Satz. Für das Allegretto bearbeitet Haydn eines seiner Lyrakonzerte, das er acht Jahre zuvor für den König von Neapel komponiert hatte. Die sanft dahinschreitende Romanze wandelt sich mit einer unerwartet dramatischen Geste plötzlich zum militärischen Marsch. Mit den einfallenden Perkussionsinstrumenten, den sogenannten »türkischen Instrumenten« – Triangel, Becken und große Trommel – bedient der Komponist eine Mode, die sich auch in zahlreichen Werken seiner Zeitgenossen niederschlägt, so etwa in Mozarts Singspiel »Entführung aus dem Serail« oder dem vierten Satz aus Beethovens 9. Sinfonie. Auch hier tauchen die exotisch anmutenden Perkussionsinstrumente auf und sorgen beim Publikum für Begeisterungsstürme. Joseph Haydn geht jedoch über die Klangfarbe des Schlagwerks noch hinaus und zitiert in der Trompete den österreichischen Generalsalut. Der patriotische Geist dieses zweiten Satzes lässt sich kaum von der Hand weisen. Damit trifft der Komponist genau den Geschmack des Londoner Adels, befindet sich doch Großbritannien in Allianz mit Österreich im Krieg gegen das revolutionäre Frankreich. Nachdem sich im dritten Satz das Gemüt wieder etwas erholen kann, stürmen die Musiker im Presto dann erneut mit militärischen Tönen voran und beenden den heutigen Abend in einem furiosen Finale.
Sebastian Stüer